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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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saß eingepfercht zwischen lokalpolitischen Schwergewichten und dem General.
    »Mein Sohn«, orgelte Frischlin mit Mikroverstärkung, »Sie befinden sich hier in einem Gotteshaus …«
    Ein Lächeln flog Richard an, und er wandte sich halb dem Pfarrer zu.
    »Äh … in einer Kirche. Hier schweigen Staatsmacht und Polizei. Jede Menschenseele, und sei sie noch so beladen und sündenbehaftet, hat ein Anrecht auf eine würdevolle und …«
    Richard entfaltete nur die Blätter in seinen Händen. Und wieder war es mucksmäuschenstill.
    »Ich habe schon vermutet, dass Sie mir keine Wahl lassen, Herr Pfarrer.« Er hob die Blätter an. »Ich habe hier die Grabrede, die mein Vater eigenhändig verfasst hat. Ursprünglich hätte Pfarrer Frischlin sie vorlesen sollen. Sie befand sich in einem verschlossenen Umschlag, den er erst am Grab hätte öffnen dürfen. Diesen Umschlag habe ich mir vor einer Stunde gegen seinen Widerstand angeeignet. Ich habe ihn geöffnet, die Grabrede gelesen und … und in einem Anfall von Entsetzen verbrannt.«
    Frischlin gab einen Ton von sich, den die Lautsprecher in die Kirche seufzten.
    »Nun hat mein Vater seine Grabrede allerdings auf seinem Computer geschrieben. Anschließend hat er die Datei gelöscht. Ihm ist jedoch offenbar nicht klar gewesen, dass er seine Festplatte hätte überschreiben lassen müssen, um das Dokument nachhaltig zu vernichten. Es war auch für einen Computerlaien wie mich nicht schwierig, fraglichen Text im Papierkorb auf seiner Festplatte wieder aufzufinden. Ich habe die Datei vor einer halben Stunde kopiert, sodass ihr ursprüngliches letztes Änderungsdatum erhalten geblieben ist, und ausgedruckt.«
    Er hustete, wie ich ihn jedes Mal hatte husten hören, wenn sein Vater ihn strangulierte. »Die infame Einleitung will ich Ihnen ersparen.« Er hustete noch einmal und wandte sich der Bankreihe zu seiner Linken zu.
    »Mutter, es tut mir leid, dir jetzt und hier vor allen Leuten solche Schmerzen bereiten zu müssen. Barbara, Jürgen …« Seine Augen wanderten zu den drei Schönheiten hinüber. »Jacqueline, Maximiliane, Henriette, ich muss euch mitteilen, dass euer Sohn und Bruder Victor durch die Hand meines … meines Vaters gestorben ist.«
    Die Sprachlosigkeit hatte viele Töne: das Knarren des Gestühls, laute Seufzer, Ächzen, Schluckauf. In der Empore flog ein Notenständer um. Frischlins Mikro krachte, weil er sich etwas fahrig ans Beffchen fasste.
    »Er hat ihm seine silberne Flasche mit giftigem Inhalt als Erbstück zukommen lassen.«
    »Und warum?«, tönte Barbaras Frage so klar und sonor, dass es mir den Rücken hinunterschlotterte.
    »Weil Victor schwul war. Schwul wie Jannik Filser, den mein Vater zuvor entführte, vergiftete und in den Fluss legte, damit deine Rinder über ihn hinweggehen. Und wie davor Felix Pflücklin, der im vergangenen Jahr in einem Siloballen endete, und …«, er senkte den Blick auf seine Papiere, »wie Marvin Speitel, den man 2001 in einem Gülletank fand, wie Florian Staudenmeyer, der 1997 von einem Hochleistungshäcksler zerfetzt wurde, wie Andreas Kinner, dessen Leichnam im Jahr 1975 die Stotzinger Mühle zum Stillstand brachte, und wie Paul Filser, der Janniks Onkel hätte werden sollen, der aber keine fünfzehn Jahre alt wurde, weil mein Vater ihn unter Alkohol gesetzt, vergiftet und dann in einen Mähdrescher gesteckt hat. Am Hörnle war das, auf einem Feld in einer Samstagnacht im Sommer 1964.«
    Barbara legte die Hand vor den Mund.
    »Was reden Sie denn da?«, brüllte Dr. Zittel senior aus der Mitte der Gemeinde. »Das müssen Sie erst mal beweisen!«
    Richards asymmetrischer Blick suchte und fand den Gerichtsmediziner. »Sie haben diese Leichen seziert. Sie haben aber auch bei meinem Vater die Leichenschau vorgenommen und nicht erkannt, dass er sich selbst vergiftet hat. Ich habe momentan keinen unwiderleglichen Beweis, dass mein Vater die Taten, deren er sich schriftlich bezichtigt, auch begangen hat. Aber es gibt Indizien. So enthält die Rede eine Erklärung, dass die Daten, Fakten und Beweise der Taten in einer Schublade in einem Werkzeugschrank in einer in seinem Besitz befindlichen Gartenlaube hinterlegt sind. Der Schlüssel für das Vorhängeschloss an der Tür lag in dem Umschlag, der für Pfarrer Frischlin bestimmt war.«
    Ich machte in meiner Jackentasche eine Faust um den Schlüssel.
    »Leider ist besagtes Gartenhäuschen letzten Sonntag infolge eines Blitzschlags abgebrannt. Doch wenn die Behörden die
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