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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Autoren: Michail Gorbatschow
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für die Lösung von Problemen zu sehen, zu ihr aufzurufen, um irgendwelche vermeintlich »hehren« Ziele zu erreichen, also im Zweifelsfall wieder das Volk niederzusäbeln, das ist unmenschlich.
     
    Die Familie der Gorbatschows war nach der Aufhebung der Leibeigenschaft in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts in das Stawropoler Land gekommen. Mein Urgroßvater, Moisej Gorbatschow, siedelte sich mit seinen drei Söhnen Alexej, Grigorij und Andrej am Rand des sehr viel früher entstandenen Dorfes Priwolnoje an. Die Gorbatschows wohnten zuerst alle zusammen, eine Großfamilie von 18  Personen. In der Nähe lebten ihre nahen und fernen Verwandten, ebenfalls Gorbatschows. Später wurden für die Söhne mit ihren Familien Hütten gebaut. Auch mein Großvater Andrej Moisejewitsch, der meine Großmutter Stepanida heiratete, trennte sich mit der Familiengründung von seinen Eltern. 1909 kam Sergej zur Welt, mein Vater.
    Am Rand des Dorfes Priwolnoje, das von den Gorbatschows und ihren engen Verwandten besiedelt war, wohnten auch Pantelej Jefimowitsch und Wasilisa Gopkalo. Auch sie waren zugereist: Er stammte aus der Gegend um Tschernigow, sie aus der Gegend um Charkow, ihrem Ursprung nach waren sie also Ukrainer. Offenbar kamen sie zur selben Zeit wie die Gorbatschows und ließen sich am Rande des Dorfes nieder. Sie hatten eine Tochter Maria, meine Mutter.
    1929 , als mein Vater zwanzig und meine Mutter achtzehn war, heirateten sie. Aus der mündlichen Familienüberlieferung ist bekannt, dass meine Mutter meinen Vater nicht heiraten wollte, die Großväter sich aber abgesprochen hatten. Meinem Vater gefiel meine Mutter. Er liebte sie. Er liebte sie sein ganzes Leben und kümmerte sich um sie. Er verzieh ihr vieles. Wenn er wegfuhr, brachte er bei der Rückkehr immer Geschenke mit. Geschenke für Maria!
    Ich wurde am 2 . März 1931 geboren und in der Kirche des Nachbardorfs Letnizkoje getauft. Infolge der Revolution von 1917 wurde die Religion ja verfolgt, und die Kirchen in Priwolnoje waren zerstört worden. Meine Mutter und mein Vater hatten mir bei der Geburt den Namen Viktor gegeben. Doch bei der Taufe antwortete Großvater Andrej auf die Frage des Geistlichen nach meinem Namen, ich solle Michail heißen. Dann packte man mich in einen warmen Schafpelz und brachte mich nach Priwolnoje zurück. Dies geschah weniger, damit ich nicht erfror, sondern weil es Reichtum verspricht – so will es der Brauch.
    Die Hütte von Großvater Andrej erstreckte sich von Osten nach Westen und bestand aus drei Räumen. Zuerst kam die gute Stube, wo Großvater und Großmutter schliefen. Die Ostecke dieses Zimmers nahm eine große, wunderschöne Ikonenwand ein. Der Lehmboden war mit selbstgewebten Läufern bedeckt. Der zweite Raum war der Gemeinschaftsraum für die Familie mit einem russischen Ofen, an den ein kleiner Ofen angebaut war. An der Fensterwand standen ein Esstisch und eine Bank. Im großen Ofen wurde das Brot gebacken, alles andere wurde in dem Öfchen zubereitet. Die kleinen Kinder schliefen oben auf dem Ofen.
    Als Vater und Mutter geheiratet hatten, wurde ein Teil dieses Zimmers für die beiden abgetrennt. Dann gab es noch einen Flur. Der dritte Teil der Hütte diente als Vorratsraum, wo man Getreide, Futter und Saatgut aufbewahrte. Unter dem Dach hingen Säcke mit Zwieback. Als ich schon größer war, ging ich gern auf den Speicher dieses Raums und suchte mir ein stilles Plätzchen, wo ich oft einschlief. Einmal entdeckte ich zwei Säcke mit merkwürdigen farbigen Scheinen. Es stellte sich heraus, dass das Kerenki waren, Geldscheine, die 1917 unter der von Kerenskij angeführten provisorischen Regierung ausgegeben worden waren. Sie lagen da noch lange. Großvater hoffte wohl darauf, sie könnten noch einmal von Nutzen sein. Wie Bauern eben so denken!
    Im vierten Raum war das Vieh untergebracht. Daneben befand sich Futter und ein Teil des Heizmaterials. So war die Hütte aufgeteilt.
    Vor vielen Jahren erzählte meine Mutter meiner Tochter Irina, ihrer ersten Enkelin, wie ich auf die Welt gekommen bin. Als die Wehen einsetzten, brachte man meine Mutter in den Vorratsraum. Man legte Stroh auf den Boden und bettete sie auf ein Lager. Zwischen dem Wohnraum und dem Stall, da wurde ich also geboren. Als Irina erwachsen war, kam sie auf diese Geschichte zu sprechen und sagte: »Papa, hör mal, du bist ja geboren wie Jesus Christus.«
    »Ja! Schreib es dir hinter die Ohren. Aber sag es niemand weiter«, sagte ich aus
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