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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Autoren: Michail Gorbatschow
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was für einen Preis unser Volk dafür hat zahlen müssen.
    Die Division, in der mein Vater diente, beteiligte sich an der großen Panzerschlacht am Kursker Bogen, bei den Operationen im Raum Ostrogoschsk und Rossosch, an den Kämpfen bei Charkow, an der Überquerung des Dnepr im Raum von Perejaslawl-Chmelnizki und bei der berühmten Verteidigung des Brückenkopfes von Bukrin.
    Für das Übersetzen über den Dnepr erhielt Vater die Tapferkeitsmedaille, auf die er sehr stolz war, obwohl er später auch noch andere Auszeichnungen bekam, darunter zwei Orden des Roten Sterns. Im November und Dezember 1943 beteiligte sich seine Division an der Operation um Kiew, im April 1944 an der um Proskurow und Tschernowitz, im Juli und August desselben Jahres an der um Lemberg und Sandomir und an der Befreiung der Stadt Stanislaw. Die Division hatte in den Karpaten 461  Tote und mehr als anderthalbtausend Verwundete zu beklagen. Wie hatte Vater ein so blutiges Gemetzel überstehen und dann doch in den Karpaten umkommen können?
    Drei Tage weinte die ganze Familie. Doch dann kam ein Brief von Vater, in dem stand, er sei wohlauf und gesund.
    Beide Briefe stammten vom 27 . August 1944 . Ob er uns geschrieben, dann in die Schlacht gezogen und umgekommen war? Vier Tage später erhielten wir einen weiteren Brief von Vater, datiert vom 31 . August. Also war Vater am Leben! Ich schrieb ihm einen Brief und äußerte meine Empörung über diejenigen, die uns den Brief mit der Todesmeldung geschickt hatten. In seinem Antwortbrief verteidigte Vater die Frontsoldaten: »Nein, mein Sohn, schimpf nicht auf die Soldaten – an der Front kommt alles Mögliche vor.« Ich nahm mir Vaters Worte zu Herzen.
    Nach Kriegsende erzählte er uns dann, was im August 1944 passiert war. Am Vorabend eines Angriffs erhielten die Pioniere den Befehl, nachts am Berg Magur einen Gefechtsstand einzurichten. Der Berg ist mit Wald bedeckt, nur der Gipfel ist kahl und bietet eine gute Sicht über den Westabhang. Also richteten sie den Gefechtsstand dort ein. Die Kundschafter gingen vor, während Vater mit seinen Pionieren zu arbeiten begann. Die Tasche mit seinen Papieren und Fotos legte er auf die Brustwehr des ausgehobenen Grabens. Plötzlich gab es Lärm von unten, dann ertönten Schüsse. Die Pioniere stoben auseinander. Die Dunkelheit rettete sie. Sie verloren keinen einzigen Mann. Ein Wunder! Vater witzelte: »Meine zweite Geburt!« In diesem freudigen Zustand schrieb er uns dann den Brief: »Ich bin wohlauf und gesund«, ohne Einzelheiten.
    Am Morgen, als der Angriff begann, entdeckten die Infanteristen oben Vaters Tasche. Sie dachten, er sei bei der Erstürmung des Bergs Magur ums Leben gekommen und schickten einen Teil der Papiere und die Fotografien zu uns nach Hause.
    Und doch hat der Krieg Starschina Gorbatschow für das ganze Leben seinen Stempel aufgedrückt … Nach einem schwierigen und gefährlichen Streifzug ins Hinterland des Gegners, bei dem sie das Gelände entminten, die Verbindungslinien zerstörten und einige schlaflose Nächte hatten, bekam die Gruppe eine Woche Urlaub. Sie wurden ein paar Kilometer von der Front abgezogen und schliefen sich die ersten Tage einfach aus. Um sie herum: Wald, Stille, eine absolut friedliche Situation. Die Soldaten entspannten sich. Aber ausgerechnet über dieser Stelle kam es zu einem Luftkampf. Vater und seine Pioniere beobachteten, wie er wohl enden würde. Da warf ein deutsches Flugzeug auf der Flucht vor unseren Jägern auf einmal seine ganze Bombenlast ab.
    Pfeifen, Geheul, Explosionen. Alle warfen sich auf den Boden. Eine der Bomben schlug nicht weit von Vater ein, und ein riesiger Bombensplitter riss ihm das Bein auf. Ein paar Millimeter weiter, und er hätte ihm das Bein abgerissen. Aber Vater hatte wieder Glück, der Knochen war unversehrt.
    Das passierte in der Tschechoslowakei, bei der Stadt Košice. Damit war Vaters Frontleben zu Ende. Man brachte ihn ins Krankenhaus nach Krakau, und dann kam auch schon bald der 9 . Mai 1945 , der Tag des Sieges.
    Wie die anderen habe auch ich in den Kriegsjahren vieles durchgemacht. Aber wenn die Rede auf den Krieg kommt, taucht vor meinen Augen sofort ein entsetzliches Bild auf. Ende Februar, Anfang März 1943 kam ich auf der Suche nach Kriegstrophäen mit anderen Kindern auf einen fernen Waldstreifen zwischen Priwolnoje und dem Nachbardorf am Kuban: Belaja Glina. Wir stießen auf die Überreste von Rotarmisten, die hier im Sommer 1942 ihren letzten Kampf
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