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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition)
Autoren: James Salter
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äußersten Schwur: Eher der Tod von hundert Millionen, der ganzen Bevölkerung, als Kapitulation.
    Auf dem Weg lag Okinawa.
    Der Tag zog auf, ein blasser Pazifikmorgen, ohne wirklichen Horizont, nur die oberen Ränder der Wolken fingen das erste Licht. Das Meer war leer. Langsam erschien die Sonne, flutete weißlich über das Wasser. Ein Lieutenant junior zur See namens Bowman war an Deck gekommen, er stand an der Reling und blickte hinaus. Sein Kabinennachbar Kimmel stellte sich schweigend neben ihn. Es war ein Tag, den Bowman nie vergessen würde. So wenig wie alle anderen.
    »Irgendwas zu sehen?«
    »Nichts.«
    »Nicht dass man was sehen könnte«, sagte Kimmel.
    Er sah nach vorne, dann nach achtern.
    »Es ist zu friedlich«, sagte er.
    Bowman war Navigationsoffizier und auch Wachoffizier, wie er zwei Tage zuvor erfahren hatte.
    »Sir«, hatte er gefragt. »Was beinhaltet das genau?«
    »Hier ist das Handbuch«, sagte der erste Offizier.
    Er begann am Abend zu lesen, hin und wieder knickte er eine Seite um.
    »Was machst du?«, fragte Kimmel.
    »Lass mich jetzt mal.«
    »Was liest du da?«
    »Ein Handbuch.«
    »Ich glaub es nicht, wir sind mitten in feindlichen Gewässern, und du sitzt hier und liest ein Handbuch? Das ist wohl kaum die richtige Zeit dafür. Du solltest mittlerweile doch wissen, was zu tun ist.«
    Bowman achtete nicht auf ihn. Sie waren von Anfang an zusammen gewesen, seit midshipman’s school , wo der Kommandant, ein Kapitän zur See, dessen Karriere endete, als sein Zerstörer auf Grund lief, jedem Mann eine Ausgabe von Die Botschaft an Garcia auf das Bett gelegt hatte, ein inspirierender Text aus dem Spanisch-Amerikanischen Krieg. Kapitän McCreary hatte keine Zukunft, aber er blieb dem Anspruch der Vergangenheit treu. Jeden Abend trank er sich in einen Rausch, aber am Morgen war er wieder frisch und immer glattrasiert. Er kannte das Handbuch der Marinevorschriften auswendig und hatte die Ausgaben der Botschaft an Garcia aus eigener Tasche bezahlt. Bowman hatte es aufmerksam gelesen, Jahre später konnte er noch daraus zitieren. Garcia befand sich irgendwo in der Weite der kubanischen Berge – wo genau, das wusste keiner … Die Aussage war sehr einfach: Tu deine Pflicht, aus vollem Herzen, ohne unnötige Fragen oder Ausreden. Kimmel hatte beim Lesen gelacht.
    »Aye, aye, Sir. An die Waffen, Männer!«
    Er war dunkelhaarig und mager und hatte einen schlaksigen Gang, mit langen Beinen, so schien es zumindest. Seine Uniform sah immer aus, als hätte er darin geschlafen. Sein Hals war zu dünn für seinen Kragen. Die Kameraden nannten ihn untereinander das Kamel, aber er hatte einen playboyhaften Charme, und Frauen mochten ihn. In San Diego hatte er etwas mit einem lebhaften Mädchen namens Vicky angefangen, deren Vater Palmetto-Ford-Vertragshändler war. Sie hatte blondes, zurückgenommenes Haar und etwas Verwegenes an sich. Sie fühlte sich sofort von Kimmel angezogen, seinem lässigen Flair. In dem Hotelzimmer, das er sich mit zwei anderen besorgt hatte, und wo sie, wie er erklärte, den Lärm der Bar nicht um sich hätten, saßen sie und tranken Canadian Club Whisky mit Cola.
    »Wie das wohl passiert ist?«, sagte er.
    »Wie was passiert ist?«
    »Dass wir uns getroffen haben.«
    »Verdient hast du es nicht.«
    Er lachte.
    »Muss Schicksal sein«, sagte er.
    Sie nippte an ihrem Glas.
    »Schicksal? Dann heiraten wir also?«
    »Das ging aber schnell. Ich bin noch zu jung zum Heiraten.«
    »Du würdest mich im ersten Jahr wahrscheinlich nur zehn Mal betrügen«, sagte sie.
    »Ich würde dich niemals betrügen.«
    »Haha.«
    Sie wusste genau, wie er war, doch das würde sie ändern. Sie mochte sein Lachen. Er müsste aber zuerst ihren Vater kennenlernen, bemerkte sie.
    »Ich würde deinen Vater gerne kennenlernen«, antwortete Kimmel scheinbar ernst. »Hast du ihm von uns erzählt?«
    »Glaubst du, ich bin verrückt? Er würde mich umbringen.«
    »Was meinst du? Warum?«
    »Weil ich schwanger bin.«
    »Du bist schwanger?«, sagte Kimmel beunruhigt.
    »Wer weiß?«
    Vicky Hollins in ihrem seidenen Kleid, die Blicke hafteten an ihr, wenn sie vorüberging. Mit hohen Schuhen war sie gar nicht mal so klein. Sie nannte sich gern beim Nachnamen. Hollins, meldete sie sich am Telefon.
    Sie liefen aus, alles wurde dadurch real oder auf gewisse Weise real.
    »Wer weiß, ob wir zurückkommen«, sagte er wie nebenbei.
    Ihre Briefe waren in den zwei Postsäcken gekommen, die Bowman aus Leyte zurückgebracht
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