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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition)
Autoren: James Salter
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wiederkehrten, war er dort. Sie waren auf dem Meer und wurden angegriffen. Das Schiff war getroffen, es hatte Schlagseite und ging in die Knie wie ein sterbendes Pferd. Die Korridore waren überflutet, er versuchte, sich durchzukämpfen, an Deck zu kommen, überall drängten sich die Männer. Das Schiff lag fast auf der Seite, und er stand neben den Kesseln, die jeden Moment in die Luft gehen konnten, er musste sich in Sicherheit bringen. Er stand an der Reling, er würde springen müssen, um weiter achtern zurück an Bord zu klettern. Im Traum war er gesprungen, aber das Schiff war zu schnell, es überholte ihn, und er schwamm, das Heck rollte an ihm vorbei, und er blieb im Kielwasser zurück.
    »Douglas«, sagte seine Mutter und brachte das Gespräch auf einen etwas älteren Jungen, mit dem Bowman zur Schule gegangen war, »hat nach dir gefragt.«
    »Wie geht es Douglas?«
    »Er studiert Jura.«
    »Sein Vater war Rechtsanwalt.«
    »Deiner auch«, sagte seine Mutter.
    »Du sorgst dich doch nicht um meine Zukunft? Ich werde wieder studieren. Ich bewerbe mich in Harvard.«
    »Ah, großartig!«, rief sein Onkel.
    »Warum denn so weit weg?«, sagte seine Mutter.
    »Mutter, ich war im Pazifik. Da hast du dich auch nicht beschwert, dass es weit weg ist.«
    »Hab ich nicht?«
    »Also, ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.«
    Sein Onkel legte den Arm um ihn.
    »Junge, wir sind froh«, sagte er.
    Harvard nahm ihn nicht. Es war seine erste Wahl, aber seine Bewerbung wurde abgelehnt, da sie keine Studenten mit abgebrochenem Studium aufnahmen, wie sie ihm schriftlich mitteilten. Also machte er sich die Mühe und verfasste ein sorgfältiges Antwortschreiben, in dem er alle berühmten Professoren, deren Wissen und Autorität ihresgleichen suchten und unter denen er gehofft hatte, studieren zu können, namentlich erwähnte und er sich selbst als jungen Mann darstellte, der nicht dafür bestraft werden sollte, dass er im Krieg gedient hatte. Schamlos, wie er war, hatte der Brief Erfolg.
    Im Herbst 1946 fing er in Harvard an, als Außenseiter, ein oder zwei Jahre älter als sein Studienjahrgang, wurde er doch für eine gewisse Charakterstärke geschätzt – er war im Krieg gewesen, sein Leben war dadurch realer. Er wurde respektiert, und auch sonst hatte er Glück, vor allem mit seinem Zimmergenossen, mit dem er sich auf Anhieb verstand. Malcolm Pearson stammte aus einer wohlhabenden Familie. Er war groß, intelligent und nuschelte, nur gelegentlich konnte Bowman verstehen, was er sagte, aber mit der Zeit gewöhnte er sich daran. Pearson behandelte seine teure Kleidung mit vornehmer Verachtung und schien nur selten zu den Mahlzeiten zu gehen. Er studierte Geschichte und hatte die vage Vorstellung, später einmal Professor zu werden, solange es nur seinem Vater missfiel und er sich von dem elterlichen Baustoffunternehmen distanzieren konnte.
    Tatsächlich unterrichtete er nach dem Abschluss eine Zeitlang an einer Jungenschule in Connecticut, dann machte er seinen Master und heiratete ein Mädchen namens Anthea Epick, wenn auch niemand auf der Hochzeit im Hause der Braut in der Nähe von New London – einschließlich des Pfarrers und Bowmans, der Trauzeuge war – sein Jawort verstehen konnte. Anthea war ebenfalls groß, mit dunklen Brauen und leichten X-Beinen, die man in ihrem weißen Hochzeitskleid zwar nicht sah, aber sie waren am Tag zuvor zusammen am Pool gewesen. Sie hatte einen merkwürdigen Gang, ein wenig, als würde sie torkeln, aber sie und Malcolm hatten viel gemein, und die beiden verstanden sich gut.
    Nach der Heirat machte Malcolm nicht mehr viel. Es spazierte wie ein Bohemien aus den 1920ern, mit weitem Mantel, Schal und bequemen Hosen, einem alten Filzhut und knorrigem Spazierstock, mit ihrem Collie über das Anwesen nahe Rhinebeck und ging seinen Interessen nach, die sich größtenteils auf die Geschichte des Mittelalters beschränkten. Er und Anthea hatten eine Tochter, Alix, deren Patenonkel Bowman war. Auch sie war exzentrisch. Als Kind war sie eher still, und später sprach sie mit einer Art englischem Akzent. Sie heiratete nie und lebte im Haus ihrer Eltern, die es hinnahmen, als wäre das schon immer der Plan gewesen. Sie war nicht einmal promiskuitiv, beklagte sich ihr Vater.
    Die Jahre in Harvard hinterließen bei Bowman einen ebenso bleibenden Eindruck wie die Zeit auf See. Er stand auf den Stufen der Widener-Bibliothek, die Augen auf Höhe der Baumwipfel, er sah hinaus über die roten Backsteingebäude
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