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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition)
Autoren: James Salter
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Sicher war er sich nur über eins, was immer kommen würde, es wäre für alle Menschen, die je gelebt hatten, gleich. Er würde hingehen, wo alle hingegangen waren, und – es war schwer zu glauben – alles, was er je gekannt hatte, würde mit ihm gehen, der Krieg, Mr Kindrigen und der Butler, der ihm Kaffee eingeschenkt hatte, die ersten Tage in London, der Lunch mit Christine, ihr hinreißender Körper wie eine eigene Wesenheit, Namen, Häuser, das Meer, alles, was er gekannt hatte, und auch Dinge, die er nicht gekannt hatte, die aber trotzdem da waren, Dinge seiner Zeit, all die Jahre, die großen Ozeanliner mit ihrem unbezwingbaren Glanz, bereit zum Auslaufen, die Kapelle spielt, während das Schiff zurücksetzt, das grüne Wasser weitet sich, die Matsonia verlässt Honolulu, die Bremen läuft aus, die Aquitania , die Ile de France , und die kleinen Boote, die auf dem Wasser schwimmen, treiben hinterher. Die erste Stimme, die er je vernahm, die seiner Mutter, war jenseits seiner Erinnerung. Aber er erinnerte sich an das Glück, in ihrer Nähe zu sein, als er noch ein Kind war. Er konnte sich an seine ersten Schulkameraden erinnern, an ihre Namen, an sein Klassenzimmer, die Lehrer, an zu Hause, sein Zimmer in allen Einzelheiten – das Leben, das nicht vorhersehbar war, das Leben, das sich ihm eröffnet und das er gelebt hatte.
    Er hatte am Nachmittag im Garten Unkraut gejätet, und als er an sich hinunterblickte unter seinen Tennisshorts ein paar Beine gesehen, die, wie es schien, einem alten Mann gehörten. Er durfte, wenn Ann im Haus war, nicht in solchen Shorts herumlaufen, wahrscheinlich nicht einmal in dem Baumwollkimono, der ihm kaum bis zu den Knien reichte, oder auch nur im Unterhemd. Er musste auf solche Dinge achten. Er verließ das Haus in Anzug und kam in Anzug wieder zurück. An dem Tag trug er einen von Tripler & Co, er war mitternachtsblau mit feinen Nadelstreifen.
    Es war der Anzug, den er zur Beerdigung seiner Tante in Summit getragen hatte. Er war mit Ann gefahren – er hatte sie gebeten, ihn zu begleiten. Die Beerdigung war um zehn Uhr morgens. Sie dauerte nicht lang, und sie fuhren schon bald zurück. Sie waren mit dem ersten Zug gekommen. Im blauen Licht des Morgens, vorbei an den Marschgebieten, New York lag in der Ferne wie eine fremde Stadt, ein Ort, an dem man leben und glücklich sein konnte. Auf der Fahrt erzählte er ihr von seiner Tante Dorothy, der Schwester seiner Mutter, und seinem wunderbaren Onkel Frank. Er beschrieb ihr Restaurant, das Fiori, mit den roten Plüschsesseln. Paare, die nach der Arbeit hereinkamen, um einfach zu Abend zu essen, und andere, die später kamen, um ungestört zu sein. Es war Jahre her, aber an diesem Morgen war es so real, als könnten sie gleich am Abend hingehen, dort sitzen und etwas trinken und Rigoletto hören, und die Kellnerin würde ihnen Steaks servieren, leicht angeschwärzt vom Grill mit einem kleinen Stück schmelzender Butter obenauf. Er wollte sie zum ersten Mal dort mit hinnehmen.
    Seine Gedanken trieben weiter, zu der großen Trauerstadt mit ihren palazzos und unbewegten Kanälen und den Löwen, die ihr gefürchtetes Wahrzeichen waren.
    »Weißt du«, sagte er. »Ich habe an Venedig gedacht. Ich weiß nicht, ob Wells recht hat, was die richtige Zeit betrifft. Der Januar ist so verdammt kalt. Ich glaube, es wäre besser, früher zu fahren. Und was die Leute angeht, und wenn schon. Ich kann ihn nach Hotels fragen.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ja. Lass uns im November fahren. Es wird großartig werden.«
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