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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition)
Autoren: James Salter
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tun. Aber sie haben bestimmte Praktiken. Du weißt schon«, sagte er.
    »Ich denke ja«, sagte sie. »Ich bin mir nicht sicher.«
    »Ich will damit nichts andeuten«, sagte er.
    »Das macht nichts.«
    Obwohl sie wartete, redete er nicht weiter.
    Es war das erste von vielen Wochenenden. Sie wurden zu einer Art inoffiziellem Paar. Bei der Arbeit zogen sie es vor, es nicht zu zeigen, und es fiel nicht weiter auf. Am Abend aber oder auf dem Land bewegten sie sich frei und ohne Beschränkungen. Sie schlief in einem einfachen weißen Nachthemd, das er ihr über die Hüfte nach oben streifte, wo es liegen blieb, oder sie zog es ganz über den Kopf und legte es beiseite. Ihre nackte Haut war kühl. Ihr Arm lag neben ihrem Körper, ihre Hand geöffnet. Er legte sich auf die schmale Fläche.
    Im Juni war das Wasser noch zu kalt zum Schwimmen. Wenn er nach einer Minute den Mut fand, mit dem Kopf unterzutauchen, bereute er es in der Sekunde darauf. Aber die Tage waren schön und lang. Die Strände waren noch leer. Manchmal fiel die Sonne durch die Wolken nur auf einen Teil des Wassers und färbte die Fläche fast weiß in einem Meer aus Dunkelblau oder Grau.
    Im Juli war das Wasser wärmer. Sie gingen früh am Morgen schwimmen. Auf dem Parkplatz konnte man an einem weißen Lieferwagen Kaffee und Spiegeleiersandwichs und später kalte Getränke kaufen. Ein paar Kinder streunten bereits umher und gingen barfuß über den Asphalt. Der Strand war besonders um diese Zeit noch kaum bevölkert und verlor sich zu beiden Seiten in der Ferne. Anns Badeanzug war dunkelrot. Ihre Arme und Beine hatten die Stadtblässe verloren.
    Die Wassertemperatur war perfekt. Sie schwammen gemeinsam für fünfzehn oder zwanzig Minuten, dann kamen sie heraus und legten sich in die Sonne. Es herrschte wenig Wind, es würde ein heißer Tag. Sie lagen mit den Köpfen nicht weit auseinander. Sie öffnete kurz die Augen, sah ihn und schloss sie wieder. Schließlich setzten sie sich auf. Die Sonne lag schwer auf ihren Schultern. Es waren mittlerweile mehr Menschen am Strand, ein paar hatten Sonnenschirme und Stühle dabei.
    »Wollen wir noch mal rein?«, sagte Bowman, während er sich erhob.
    »Ja, gut«, sagte sie.
    Sie stand auf und folgte ihm, als das Wasser ihnen bis zur Taille reichte, tauchte er ein, die Arme ausgestreckt, den Kopf gesenkt. Das Wasser war ein mattes Grün, rein und seidig, mit einer leichten Dünung. Diesmal schwammen sie nicht zusammen, sondern in verschiedenen Richtungen. Er schwamm nach Osten, verfiel langsam in einen gleichmäßigen Rhythmus. Das Meer umspülte ihn, zog an ihm vorbei, unter ihm hinweg, als gehörte es ihm allein. Es gab noch ein paar andere Schwimmer, ihre Köpfe waren dichter am Ufer. Er hatte das Gefühl, er könnte eine weite Strecke zurücklegen, er fühlte sich voller Kraft. Den Kopf unter Wasser getaucht, sah er den Grund, den ebenen gerillten Boden. Er schwamm ein ganzes Stück, dann schließlich kehrte er um. Obwohl er müde war, konnte er nicht lange genug draußen bleiben, nicht lange genug schwimmen, hier im Meer, an diesem Tag. Schließlich kam er heraus, erschöpft und voller Elan. Neben ihm rannte eine Horde Kinder in einer langen unregelmäßigen Reihe ins Wasser, Mädchen neben Mädchen, Junge hinter Junge, kreischend mit freudigen Gesichtern. Er ging auf Ann zu, die vor ihm aus dem Wasser gekommen war und in ihrem glatten roten Badeanzug am Strand saß, er hatte sie schon von Ferne gesehen.
    Mit einem Gefühl von Triumph – er konnte es nicht erklären – stand er vor ihr und trocknete sich ab. Es war fast elf. Die Sonne hatte eine unglaubliche Kraft. Sie gingen zusammen zum Auto, das abseits der Straße geparkt war. Ihre Beine schienen noch gebräunter, als sie sich neben ihn setzte, ihre Wangenknochen waren leicht verbrannt. Und er war vollkommen glücklich. Er wünschte sich nichts weiter. Ihre Gegenwart war wie ein Wunder. Sie war die Frau Mitte dreißig aus Geschichten und Stücken, die aus irgendeinem Grund – seien es Umstände oder Fügung – nie einen Mann gefunden hatte. Begehrenswert, Leben spendend war sie durchs Netz gegangen, die Frucht, die zu Boden fiel. Sie hatte nie von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen. Sie hatte nie, außer im Überschwang, das Wort Liebe benutzt. Doch an diesem Tag, als er vor ihr stand, frisch aus dem Meer, hätte er es fast gesagt, sich neben sie hingekniet und gesagt, wie sehr er sie liebte. Fast hätte er gesagt, willst du mich heiraten? Das war der
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