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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr
Autoren: Lisa Bjaerbo
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ist. Ein Vater, der Arzt ist. Ein fünfjähriger Junge, der nach Lego verrückt ist. Und eine Teenager-Tochter, die wie immer als Letzte zum Essen kommt.
    Applaus?
    Irgendwer?
    »ALICIA!«
    Papas Stimme klingt gereizt, also lege ich mal besser das Buch weg und gehe runter in die Küche. Er wirft mir einen genervten Blick zu, als ich mich an den Tisch setze.
    »Muss man dich immer viermal rufen, bis du einen hörst? Das Essen wird kalt.«
    Ich lege ein paar Kartoffeln auf meinen Teller.
    »Drei«, sage ich.
    »Was?«
    »Du hast nur dreimal gerufen.«
    Mein kleiner Bruder Olle auf der anderen Tischseite kichert und sieht erst mich, dann Papa erwartungsvoll an.
    »Einmal, wenn abzusehen ist, wann das Essen fertig ist, weil du weißt, dass ich nie beim ersten Mal komme. Das zweite Mal, wenn das Essen fast fertig ist, weil du weißt, dass die Chance, dass ich an dieser Stelle komme, auch nicht sehr groß ist. Und das dritte Mal, wenn ihr alle am Tisch sitzt. So wie immer. Kein Grund, sich aufzuregen, Papilein.«
    Jetzt lacht Olle. Er ist gerade fünf geworden und findet alles, was ich sage, urkomisch.
    »Alicia hat PAPILEIN gesagt, Mama«, gluckst er. »Hast du gehört?«
    Mama nickt.
    »Ich hab’s gehört«, sagt sie.
    Ich fange an zu essen.
    Wartet’s ab.
    Das dicke Ende kommt noch.
    Ich habe keine Ahnung, wie sie reagieren werden. Oder doch, wahrscheinlich weiß ich es nur zu genau und zögere es deswegen so lange wie nur eben möglich hinaus. Ich sitze still daneben, als Mama von einem ihrer Schüler erzählt, der in der Pause vom Klettergerüst gefallen ist und sich den Arm gebrochen hat. Ich schweige, als Olle irgendwas Unzusammenhängendes zum Besten gibt von einem Freund im Kindergarten, schweige, als Papa sich nachnimmt, und schweige, während er isst. Erst, als alle Teller leer sind und Mama sich mir zuwendet, sage ich etwas.
    »Und, Alicia?«, sagt Mama. »Was hast du heute gemacht?«
    »Heute«, sage ich, »heute habe ich hauptsächlich die Schule geschmissen.«
    * * *
    Vorhang. Pause.
    * * *
    Im zweiten Akt sind wir in die obere Etage umgezogen. Der fünfjährige Junge sitzt jetzt in den Kulissen und baut an seiner aktuellen Lego-Ritterburg. Die Teenager-Tochter steht gezwungenermaßen im Zentrum des Geschehens. Mit ihren Eltern, die gerade richtig in Fahrt kommen.
    »Jetzt hörst du mir mal gut zu, Alicia. Man schmeißt nicht einfach so die Schule.«
    Mama ist fast weiß im Gesicht. Sie sieht aus, als müsste sie sich dringend setzen und beatmet werden, aber stattdessen redet sie sich weiter in Rage.
    »Man kann Schule anstrengend finden, schrecklich, unerträglich, meinetwegen. Und ganz bestimmt darf man zwischendurch denken, dass alles andere mehr Spaß macht. Aber man schmeißt nicht einfach die Schule. Das tut man nicht.«
    Papa nickt so heftig zu ihren Worten, dass sein Kopf abzufallen droht.
    »Und außerdem«, sagt er, »kannst du das nicht einfach selbst entscheiden. Wir sind deine Eltern. Bei solchen Dingen müssen wir gefragt werden und unsere Zustimmung geben.«
    Ich schalte auf taub und lasse sie weiterlamentieren, sie sagen eh nichts, was ich nicht mit dem Hintern hätte ausrechnen können.
    Bla, bla, blubb, die Wichtigkeit einer Ausbildung. Bla, bla, blubb, wie sollst du sonst eine ordentliche Arbeit bekommen. Bla, bla, blubb, denk langfristig. Bla, bla, blubb, gähn!
    Dann kommt Papa mit dem besten Argument bis jetzt.
    »Es geht hier um deine Zukunft, Alicia. Dein Leben.«
    Da werde selbst ich ein bisschen wach.
    »Genau!«, brülle ich. » Meine Zukunft! Mein Leben! Wäre es da nicht angebracht, mich einzubeziehen und zu fragen, was ich will? Aber ihr hört mir ja nicht mal zu!«
    Meine Stimme zittert ein wenig.
    Was nicht daran liegt, dass ich aufgebracht bin.
    Sondern eher, weil ich das alles so ermüdend finde.
    Weil ich gerade eingesehen habe, dass ich noch siebentausendundzwei Akte dieser Diskussion vor mir habe, und ich mag nicht, will einfach nur den Vorhang zuziehen, in der Pause nach Hause gehen und auf den Rest scheißen.
    Darf man das, wenn man eine der Hauptrollen im Stück spielt?
    * * *
    Abends, unmittelbar vorm Einschlafen, träume ich, ich wäre erwachsen und sähe aus wie Scarlett Johansson. Ich sitze zwischen lauter Leuten an einem Tisch und starre gespannt auf eine Bühne, es ist mucksmäuschenstill im Saal, weil alle darauf warten, dass der Typ da oben endlich den Umschlag aufreißt und den Namen des Gewinners vorliest. Mama und Papa sitzen neben mir. Sie tragen
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