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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr
Autoren: Lisa Bjaerbo
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sich im Vorraum.
    * * *
    Ich denke ziemlich lange über die Tatsache nach, dass es in der Pipibox kein Waschbecken gibt.
    Ekelig, irgendwie.
    Wenn sich in ein paar Stunden der Durst meldet, muss ich das Wasser direkt aus der Kloschüssel trinken, in die ich eben gepinkelt habe. Klar hab ich gespült, aber trotzdem.
    Ein bisschen ekelig ist das schon.
    * * *
    »HALLO!«, schreie ich immer und immer wieder und hämmere gegen die Tür. Als das keiner hört, gehe ich irgendwann zu »HILFE!« über.
    Das hört natürlich auch keine Sau, aber es hilft gegen die Langeweile, ab und zu was Neues zu schreien. Übrigens eins von den Dingen, die einem erst auffallen, wenn man irgendwo eingeschlossen ist: Das Gehämmere an die Tür und das Geschrei ödet einen nach einer Weile ganz schön an. Man hat so wenig Alternativen. Ich wechsele zwischen Hämmern und Treten und probiere es zwischendurch mit »LASST MICH RAUS!«. Das hat auch keinen Effekt, aber ich schreie trotzdem weiter.
    * * *
    Stelle ich mir so mein weiteres Leben vor? Der Gedanke schleicht sich in meine Hirnwindungen ein, als meine Hand fast taub vom unentwegten Hämmern ist. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon eingeschlossen in der Pipibox sitze, weil ich keine Uhr umhabe, aber mindestens eine halbe Stunde, würde ich sagen. Wenn nicht länger.
    Trotzdem ein sehr bemerkenswerter Gedanke, der mir da durch den Kopf spukt.
    Natürlich stelle ich mir mein weiteres Leben nicht so vor! Niemand will für den Rest seines Lebens eingeschlossen in einer Pipibox am Ende des Schulflurs eines Gymnasiums sitzen. Niemand.
    Ich seufze übertrieben, um meinem Gehirn zu signalisieren, dass es das Gleis wechseln soll.
    Aber das hilft nichts. Es spielt immer wieder in einer Endlosschleife den gleichen Gedanken hinter meiner Stirn ab, im gleichen Takt, in dem ich an die Tür klopfe.
    STELLE ICH (klopf) MIR SO (klopf) MEIN WEITERES (klopf) LEBEN VOR (klopf klopf klopf)?
    STELLE ICH (klopf) MIR SO (klopf) MEIN WEITERES (klopf) LEBEN VOR (klopf klopf klopf)?
    Klingt ein bisschen, als wäre mein Hirn auf einer Demonstration, und ehrlich gesagt sollte mich das nicht wundern, denn vor dieser Demonstrationsgelegenheit hat sich ziemlich viel angesammelt.
    STELLE ICH (klopf) MIR SO (klopf) MEIN WEITERES (klopf) LEBEN VOR (klopf klopf klopf)?
    * * *
    Das erste Mal kam mir der Gedanke am Abend vor meinem ersten Tag am Gymnasium. Ich saß auf Fannys Bett und guckte ihr dabei zu, wie sie systematisch jedes Kleidungsstück aus ihrem Schrank herausholte.
    »Das hier?«, fragte sie und wedelte mit etwas Weißem vor meiner Nase herum.
    »Langweilig«, sagte ich.
    »Das hier?«
    »Hässlich.«
    »Klappe. Das hier?«
    Ich zuckte gelangweilt mit den Schultern und sah träge den gestreiften Pulli an, den sie mir vor die Nase hielt.
    »Könnte gehen. Wenn du beabsichtigst, exakt wie alle anderen auszusehen.«
    »Was ist verkehrt daran?«, fragte Fanny trotzig. »Vielleicht fühlen sich nicht alle so ultraspeziell wie du?«
    Sie warf sich neben mich aufs Bett.
    »Was ziehst du übrigens morgen an?«, fragte sie.
    Ich gähnte.
    »Weiß nicht.«
    »Das weißt du nicht?«
    »Nö.«
    »Alicia, hallo!« Fanny packte mich an den Schultern und schüttelte mich so heftig, dass zur Gehirnerschütterung nicht viel fehlte. »Wir fangen morgen auf dem Gymnasium an. Neue Schule, neue Klasse, neue Leute, neu, neu, neu, alles neu. Ich glaube dir nicht, dass du noch keinen Gedanken daran verschwendet hast, was du anziehen willst! Findest du das nicht ultra spannend? «
    Genau das war der Knackpunkt.
    Ich fand das nicht die Bohne spannend.
    * * *
    »HILFE!«, schrie ich und klopfte, hämmerte, klopfte. Ich hatte es bereits auf Englisch und Französisch versucht, jetzt war ich bei Deutsch angekommen. Das war interessant. Ich kann eigentlich kein Deutsch, aber »Hilfe« habe ich mal irgendwo aufgeschnappt. »Hilfe« und ein paar andere Phrasen aus Filmen über den Zweiten Weltkrieg, von denen mir aber in der gegenwärtigen Situation keine recht passend erschien. Okay, die Verzweiflung wuchs, aber so krank war ich noch nicht in der Birne, dass ich »ARBEIT MACHT FREI!« auf einer Schultoilette schrie. Betonung auf noch .
    * * *
    Das zweite Mal kam mir der Gedanke, als ich mit einer gepunkteten Badekappe auf dem Kopf vor einem Jungen aus der Zwölften stand. Er wedelte mit einem schwarzen Edding vor meiner Nase herum und grinste.
    »Vergiss es«, sagte ich.
    Er schien mich nicht zu hören.
    »Vergiss es!«, sagte ich noch
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