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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr
Autoren: Lisa Bjaerbo
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Augenblick auch gelungen, aber sie hatte damit etwas angetickt.
    * * *
    STELLE ICH (klopf) MIR SO (klopf) MEIN WEITERES (klopf) LEBEN VOR (klopf klopf klopf)?
    * * *
    Nach mindestens einer Stunde höre ich endlich jemanden kommen. Ich habe bereits aufgegeben und mich mit dem Gedanken zu versöhnen begonnen, hier drinnen zu sterben. Ein schnöder Gedanke, aber mal ehrlich, es gibt eine Grenze, wie lange ein Mensch Lust hat, an eine Tür zu hämmern und zu schreien. Eine Stunde in einer engen Schultoilette reicht, um diese Grenze zu überschreiten. Und mein Selbstbewusstsein so zu untergraben, dass ich meinen eigenen Ohren nicht mehr traue. Aha , denke ich, jetzt habe ich schon akustische Visionen. Es geht rapide bergab.
    Ich überlege, ob es so was wie akustische Visionen überhaupt gibt oder ob ich gerade einen neuen Ausdruck kreiert habe und wie bedauerlich das doch wäre, wenn ich sterbe, ehe ich jemandem von meiner Neukreation erzählen kann. Dann sehe ich ein, dass die Schritte auf dem Flur jetzt fast an der Toilettentür vorbei sind, und ich denke: Na gut, dann hämmere ich eben noch mal ein bisschen und schreie, hab ja eh nichts Besseres vor.
    »HALLO!«, schreie ich und hämmere wie eine Bekloppte gegen die Tür. »KANN MICH ENDLICH JEMAND AUS DIESEM LOCH BEFREIEN?«
    Die Schritte auf dem Flur verharren, wechseln die Richtung, nähern sich der Toilette. Verdammt! Vielleicht gibt es doch Hoffnung, trotz allem.
    »HALLO!«, schreie ich noch einmal, jetzt fast hysterisch, und hämmere mir die Handballen wund. »HILFE! HILFE! HILFE!«
    Ich fange vor Erleichterung echt an zu heulen, als ich sehe, dass von außen jemand die Klinke runterdrückt, und Fannys Stimme durch die Tür an meine Ohren dringt.
    »Alicia?«, fragt sie skeptisch.
    »Ja«, schluchze ich jämmerlich und denke, dass ich ihr die Füße küssen werde, sobald ich hier raus bin, aus lauter Dankbarkeit, dass es sie gibt.
    »Was machst du da?«
    Gute Frage.
    »Ich pinkele«, sage ich.
    Fanny lacht.
    »Und bist du bald fertig?«
    Ich nicke, unsinnigerweise, weil sie mich ja nicht sehen kann.
    »Die Tür klemmt«, sage ich.
    »Hab ich mir fast schon gedacht.«
    Diese Stimme voller Güte. Ich liebe sie.
    »Hol den Hausmeister!«
    »Ja, klar.«
    »So schnell wie möglich, wenn’s geht!«
    »Ich renne«, sagt Fanny und ist weg, und in dem Augenblick weiß ich plötzlich die Antwort auf die Frage, die in der letzten Stunde, Woche, dem letzten Monat in meinem Hirn rumort hat, und die Antwort lautet: Nein.
    So stelle ich mir den Rest meines Lebens definitiv nicht vor.
    Nicht mal ansatzweise.
    * * *
    Irgendwann in der Mittelstufe hatte unsere Klassenlehrerin uns gesagt, dass unsere Klasse zum Winterhalbjahr geteilt würde. Sie gab jedem von uns einen weißen Informationszettel, und ich erinnere mich, wie ernst sie uns dabei angesehen hat. Dann meinte sie, wir sollten jetzt nach Hause gehen und uns gründlich überlegen, mit welchem unserer dreißig Mitschüler wir am allerliebsten in der gleichen Klasse bleiben würden. Den Namen sollten wir dann ganz unten auf den Zettel schreiben. Es war nicht sicher, dass alle Wünsche erfüllt würden, aber unsere Lehrerin wollte ihr Bestes tun, das versprach sie hoch und heilig.
    Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass Fanny und ich beste Freundinnen waren. Wir hatten vorher nie wirklich darüber gesprochen. Aber jetzt wanderte ihr Blick über die Bankreihen zu mir und ich nickte. Wir brauchten nicht nach Hause zu gehen und gründlich nachzudenken, die Antwort war klar. Wenn du meinen Namen aufschreibst, schreibe ich deinen.
    Und so war es seitdem. Ging Fanny in eine Richtung, folgte ich ihr. Kehrte ich um, kam Fanny hinter mir her. Wir waren eigentlich grundverschieden, aber das spielte keine Rolle, wir waren trotzdem beste Freundinnen, und es hatte nie einen Anlass gegeben, das in Frage zu stellen.
    Ich weiß nicht, vielleicht ist das ja mit ein Grund, dass mein Kopf sich anfühlt, als würde er jeden Moment platzen?
    * * *
    »Das ist ein Scherz!«
    Fanny knallt die Spindtür zu.
    »Nein«, sage ich ruhig.
    »Doch, ist es.«
    »Nein.«
    »Scheiße, Alicia!«, ruft sie. »Ist dir das auf der Toilette eingefallen?«
    »Mehr oder weniger.«
    »Aha. Du bist kurz in der Pipibox eingeschlossen und kommst als erleuchteter Mensch wieder raus, oder was? Dachtest, dein letztes Stündlein hätte geschlagen, und jetzt, wo du deine zweite Chance siehst, betrachtest du das Leben plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive?
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