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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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etwas unerwartet Gutes hat. War es möglich, daß ich von der Obsession Etna Bliss Van Tassel befreit war? Von dieser Obsession, die mich seit beinahe sechzehn Jahren getrieben hatte?
    Ja, ja, es war möglich.
    Wie einer, der auf dem Schlachtfeld bewußtlos geschlagen wurde, beim Erwachen Arme und Beine betastet, um zu sehen, ob sie unversehrt sind, prüfte ich Herz und Kopf – und meine Erleichterung war nicht geringer als die des Soldaten, der entdeckt, daß er noch am Leben ist.
    Ich wäre vielleicht den ganzen Vormittag in meinem Auto am Ende der Auffahrt sitzen geblieben und hätte versucht, mich mit dieser Vorstellung der Befreiung vertraut zu machen, hätte ich nicht mit Sorge gesehen, daß das Feuer sich auszubreiten drohte. Ich hatte nie die Absicht, das benachbarte Herrenhaus mit abzubrennen. Ich fuhr sofort los. Vor dem ersten Haus, das am Weg lag, hielt ich an und erklärte dem höchst überraschten Mann, der zur Tür kam, daß es gleich unten an der Straße brenne und er die Feuerwehr rufen solle. Wie mir später berichtet wurde, war Etnas Häuschen beinahe ganz zu Asche verbrannt, als der erste Feuerwehrwagen eintraf, das große Haus jedoch nahm trotz der Hitze und des Zugs kaum Schaden.
    »Das Haus hat Ihrer Frau gehört«, sagte ein Polizist, der mich später am Tag zu Hause aufsuchte.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Ein Glück, daß sie nicht drin war«, sagte er.
    »Ja, nicht wahr?«
    »Kann ich mal mit Ihrer Frau sprechen?«
    »Sie schläft gerade.«
    »Aha.«
    »Es hat sie ziemlich mitgenommen.«
    »Natürlich. Wozu hatte sie’s denn überhaupt?«
    »Bitte?«
    »Das Haus. Was hat sie da gemacht?«
    »Genäht«, antwortete ich mit ruhiger Bestimmtheit.
    »Genäht?«
    »Sie hat den Bedürftigen Unterricht gegeben«, erklärte ich.
    »Ach, wirklich?«
    »Ja.«
    »Ganz schön ungerecht dann, oder?«
    »Ungerecht?«
    »Daß das Haus abgebrannt ist.«
    »Ja«, stimmte ich zu, »sehr ungerecht.«
    Wenn ich Vorahnungen von Freiheit hatte, als ich das Häuschen brennen sah, so mußte ich sie erst einmal beiseite lassen, als ich nach Hause kam. Denn dort warteten meine Kinder, Clara und Nicodemus, denen ich erklären mußte, daß ihre Mutter verreist war, weil sie Ruhe brauche. Nicky weinte, und Clara glaubte mir nicht.
    »Du hast sie weggeschickt«, beschuldigte sie mich, und der Vorwurf war nicht leicht zu widerlegen.
    Anfang November mußte ich Meritable bitten zu kommen, weil ich nicht mehr wußte, wie ich mit einer Tochter zurechtkommen sollte, die nicht davor zurückschreckte, immer wieder lauthals zu verkünden, daß sie ihren Vater hasse.
    »Vater hat unsere Mutter getötet«, hörte ich Clara zu dem entsetzten Nicky sagen, als ich keine Woche nach dem Brand am Zimmer meines Sohnes vorüberkam.
    »Ist gar nicht wahr!« protestierte Nicky, den einzigen Elternteil in Schutz nehmend, den er noch hatte. »Mutter ruht sich aus.«
    »Ja, im Grab wahrscheinlich«, murmelte Clara. »Vater ist ein Mörder «, behauptete sie, wobei sie das Wort mit unverkennbarem Genuß in die Länge zog.
    »Clara, geh auf dein Zimmer«, brüllte ich sie an.
    Meritable, von der ich geglaubt hatte, sie sei durch die Widerspenstigkeit eines jungen Mädchens nicht zu erschüttern, zeigte sich beeindruckt von Claras Kompromißlosigkeit. Vorsichtig sagte sie, es wäre vielleicht besser, wenn Clara eine Zeitlang mit zu ihr käme, »nur bis sie wieder normal geworden ist«. So kam es, daß Weihnachten Nicky und ich allein waren in dem großen Haus, und so blieb es, bis er mit siebzehn ans Bowdoin College ging.
    Ich glaube, daß ich Nicodemus ein guter Vater war, aufmerksamer als die meisten Väter, und ich glaube nicht, daß er unter übermäßiger Zuwendung litt. Ich bemühte mich, wie der Leser sich gewiß vorstellen kann, ihm die Mutter und die Schwester zu ersetzen, und obwohl ich meinem Sohn sicher nicht alles sein konnte, hatten wir gute Zeiten miteinander, mein Junge und ich.
    Im Herbst engagierte ich einen Detektiv, der mir (bei einem absolut grauenvollen Gespräch in meinem Arbeitszimmer) mitteilte, daß Etna nach London übersiedelt war.
    »Tja, Sir«, begann der Mann, ein rotgesichtiger kleiner Bursche aus Boston, »ich habe leider keine guten Nachrichten.«
    »Natürlich nicht«, sagte ich ungeduldig. »Reden Sie schon.«
    »Etna Van Tassel, Ihre Frau, lebt jetzt in London.«
    »In London?«
    »Sie hat ihren Wohnsitz an dieser Adresse.« Er reichte mir einen Zettel über den Schreibtisch. Darauf standen nur ein
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