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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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teilnahmslosen Herrn Zuwendung sucht und ihm so lange das Bein stupst oder die unwillige Hand leckt, bis er zerstreut gekrault wird, lockte Nicky hin und wieder etwas aus uns heraus, das Liebe sehr ähnlich war. Nur Clara, hinter einem Buch verschanzt, schlug nach ihm, wenn er ihr zu nahe kam. Sie wurde wegen dieser häßlichen Ausbrüche streng getadelt, worauf sie sich noch weiter aus der Familie zurückzog. Ich saß stundenlang in meinem Arbeitszimmer, nur gelegentlich durch meine neuen Pflichten abgelenkt. Im September wollte ich vor dem Kollegium meine Antrittsrede halten, die ich in diesen Wochen bestimmt ein dutzendmal umschrieb.
    Und Etna? Wo war Etna? Wohin war die Frau verschwunden, die fünfzehn Jahre lang meine Ehefrau gewesen war? Anfang August schlug ich einen Aufenthalt im Highland Hotel vor, einen Urlaub am Meer, der Familie zuliebe. Etna wollte nichts davon hören. (Habe ich erwähnt, daß wir kaum ein Wort wechselten?) Sie wurde beunruhigend dünn, wahrscheinlich als Folge ihres geringen Appetits und einer eher hektischen häuslichen Betriebsamkeit. Es war, als müßte sie in Bewegung bleiben, um die Bilder abzuwehren, die ihre Tochter in ihrer Phantasie heraufbeschworen hatte – Etna, eine Frau, deren Wesen sich einst durch stille Ruhe ausgezeichnet hatte.
    Träumte sie von ihrem Häuschen? Fragte sie sich, wo Phillip Asher war? Machte sie sich Vorwürfe, den Mann in ihr Haus gelassen zu haben? Ich weiß es nicht. Ich begann immer mehr zu trinken – schon morgens fing ich an –, um den Schmerz über Etnas kaltes Schweigen zu betäuben. Aber es half immer weniger.
    Eines Nachmittags Ende August, als ich beinahe eine halbe Flasche Süßwein getrunken hatte und Kopfschmerzen mich quälten, die sich mit Tropfen nicht lindern ließen (die Luft in diesem Unglückshaus war so still und schwül, daß ich kaum richtig atmen konnte), sah ich Etna in einem Korbstuhl auf einer Seitenveranda sitzen. Sie hatte kein Nähzeug bei sich, und ich nahm das als ein Zeichen der Gesundung. Bevor ich zu ihr ging (unaufgefordert), beobachtete ich sie kurze Zeit in diesem Zustand der Ruhe. Körper und Gesicht im Profil zu mir, schien sie irgend etwas anzustarren, was sich jenseits des Fliegengitters befand. Sie trug eine ärmellose Bluse und einen Leinenrock, ihre Schultern und ihre langen Arme waren weiß und nackt, für mich ein seltener Anblick in diesen Tagen. Sie kratzte sich am Schlüsselbein, als hätte sie dort ein Insekt gestochen. Ihre Arme waren außerordentlich dünn, und ihr robuster Körper war wie geschrumpft, sie schien seit dem Frühjahr stark gealtert zu sein.
    Ich trat auf die Veranda, setzte mich in den Schaukelstuhl und bewegte mich vor und zurück, um ein Lüftchen zu spüren. Etna sah ohne ein Wort der Begrüßung zu mir herüber. Ich sehnte mich nach den kühleren Herbsttagen, versprach ich mir doch rasche Heilung von dem Fieber, das uns alle befallen hatte.
    »Vielleicht«, sagte ich zu Etna, »sollten wir mit den Kindern in die Berge fahren. Dort wäre es kühler. Ich könnte sicher eine Unterkunft in einem Hotel für uns auftreiben.«
    »In welche Berge?« fragte sie beinahe schroff. In den Wochen seit ihrer Heimkehr hatte sie höfliche Konversation offenbar verlernt, oder sie war ihr unwichtig geworden.
    »Na ja, in die White Mountains«, antwortete ich, da mir kein anderes Gebirge einfallen wollte. Aber kaum hatte ich den Namen ausgesprochen, da bedauerte ich schon diesen Verweis auf die Gegend, in der wir unsere Hochzeitsreise verbracht hatten.
    »Das würde mir wenig Freude machen«, sagte sie.
    »Gibt es überhaupt etwas, was dir Freude machen würde?« fragte ich.
    »Fahr du«, sagte sie, »und nimm die Kinder mit.«
    »Ich möchte dich nicht allein lassen«, versetzte ich, ziemlich verärgert über ihre negative Einstellung allem und jedem gegenüber. Sollten wir nicht um der Kinder willen versuchen, ein normales Leben zu führen?
    Etna starrte durch das Fliegengitter auf den wuchernden Wiesenkerbel, der sich im vernachlässigten Garten breitgemacht hatte. Wie das manchmal vorkommt, wenn man zu früh am Tag unter dem Einfluß von Alkohol und Kopfschmerzen leidet, packte mich plötzlich Groll.
    »Asher ist in den Argonnen«, sagte ich, die tödlichste Gegend auf unserem Planeten nennend.
    Etna drehte langsam den Kopf. Endlich hatte ich es geschafft, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
    »Phillip ist in Frankreich?« fragte sie.
    Phillip .
    »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß
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