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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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Gesicht nicht sehen, aber der Anblick würde mir vielleicht sowieso das Herz brechen. Etna stößt einen Laut aus und versucht aufzustehen, aber ich halte ihr von neuem den Mund zu und presse sie an mich. Ich spiele auf ihr wie auf einem Instrument, einem Cello vielleicht, bis die Schändung vollkommen ist.
    Als ich fertig bin, falle ich in ein tiefes Loch, stürze Hals über Kopf wie in einem Traum im Traum. Ich falle und falle, bis ich glaube, daß es nicht mehr tiefer geht, und falle weiter.
    Kurz vor Morgengrauen weckte mich flüchtig ein Geräusch. Hätte ich am Tag zuvor nicht so viel getrunken, wäre ich vielleicht aufgestanden. Eine Tür wurde geschlossen. Schritte waren zu hören. Dann wurde noch eine Tür geschlossen. Oder bilde ich mir das vielleicht nur in der Rückschau ein? Ich döste, halb betäubt, und wußte die ganze Zeit, daß ich versuchen mußte, zu Bewußtsein zu kommen; daß ich versuchen mußte, wach zu werden. Als das endlich geschah, setzte ich mich mit einem Ruck auf. Die Sonne meldete sich schon mit zitternden Lichtreflexen auf dem Boden. Ich rieb mir die Augen und dann die Schläfen; ich litt an dem dumpfen, gnadenlosen Kopfschmerz des Wüstlings.
    Allmählich nahmen die Gegenstände im Raum Gestalt an. Wo war ich? In meinem eigenen Bett natürlich, aber wo war Etna? Sie schlief im Gästezimmer. Mit grausamer Klarheit fiel mir plötzlich wieder ein, was am vergangenen Abend geschehen war. Ich erinnerte mich der Geräusche, die mich früher am Morgen geweckt hatten. Ich stand auf und ging ans Fenster. Ich schaute zur Remise hinüber. Das Tor war offen, der Landaulet war weg.
    Ohne Hut oder Jackett, in den Sachen, in denen ich geschlafen hatte, trat ich aus dem Haus. Ein innerer Drang zur Eile trieb mich vorwärts. Ich startete den Ford, das Motorengeräusch fuhr mir in der Stille des Morgens durch Mark und Bein. Da ich den Kopf nur unter starken Schmerzen drehen konnte, verließ ich mich auf mein Glück, als ich den Wagen rückwärts aus der Auffahrt manövrierte. Dann bog ich auf die Straße ab und fuhr in Richtung zum Ort.
    Zu schnell fuhr ich durch die Wheelock Street, am Haus der Witwe Bliss vorüber. Ich brauste am Hotel Thrupp vorbei und bog am Collegekarree ab, wo die Blätter der Platanen braun und welk in der Augusthitze hingen. Frühmorgendliche Dämpfe schienen aus dem verbrannten Gras aufzusteigen, und man hatte den Eindruck, beinahe die schwachen Spuren der Wege erkennen zu können, die frühere Studenten ausgetreten hatten. Ich lenkte den Ford am architektonischen Potpourri der Collegegebäude vorbei, passierte Moxons viktorianische Villa, die Auffahrt zu Feralds Kalksteinpalast und nahm die Straße nach Drury. Es war, als führe ich in Traumzeit, schleppend und viel zu langsam. Während der Fahrt stellte ich mir im Detail vor, was ich finden würde.
    Der Leichnam würde teils auf dem Perserteppich liegen, teils auf dem Linoleum, als hätte sie in den letzten Momenten ihres Lebens noch nach etwas greifen wollen, was sich in der Nähe des Spülbeckens befand. Ein roter Fleck wie eine häßliche, eine kranke Rose würde an ihrem Hals leuchten, der kühnste Farbfleck in diesem Zimmer der weißen Leuchter und getrockneten Hortensien. Ich würde einen Schrei ausstoßen und mich abwenden, aber nicht bevor mir die unnatürliche Stellung des Leichnams aufgefallen wäre und die Scherbe einer zerbrochenen Glühbirne des Leuchters, die an einen Stuhl geschleudert worden war.
    Ich würde zum Spülbecken torkeln, den Hahn aufdrehen und Wasser über mein Gesicht laufen lassen. Dann würde ich mich aufrichten und den Kopf schütteln wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Benommen würde ich mich nach etwas umsehen, was mir Halt geben würde, und dabei die ganze Zeit gegen ein deutliches Gefühl der Übelkeit kämpfen.
    Und noch einmal würde ich meine Frau betrachten.
    Ihr Gesicht würde grotesk aussehen in seiner Entstellung, von Blut bedeckt, das aus Mund und Nase gequollen war. (Ich glaube, medizinisch ausgedrückt würde man sagen, sie sei ertrunken.) Ich würde meinen Kopf zu ihrer Kasackbluse aus Leinen hinunterneigen. Ich würde mit den Fingern über ihren dünnen weißen Arm streichen. Ich würde ihren Wangenknochen berühren und ihr nußbraunes Haar …
    Nein, nein, sagte ich mir mit heftigem Kopfschütteln. Das war zu melodramatisch. So würde es nicht sein.
    Ich bog nach links in die Einfahrt ab und hielt den Wagen vor dem Häuschen an. Der Landaulet war nirgends zu sehen, doch
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