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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Autoren: Anne Enright
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Wohnzimmerteppich tatsächlich von einem Dachs stammten!!« Auf der zweiten Seite waren drei Familienfotos abgedruckt: »Wir frieren uns in Cromer den **sch ab«, »Großeltern, endlich!« und »Das soll ein Hund sein?« Der Brief war mit »Lee und Sally (Carter)« unterschrieben. Sie sehen glücklich aus, dachte Kate, als sie den Brief wieder auf den Tisch warf. Sie sehen aus wie Bewohner einer anderen Welt.

    Wann immer die Leute zum Ausdruck bringen wollten, wie sehr sich Kates Vater verändert hatte, betonten sie, wie gut er bei der Rückkehr von der Kreuzfahrt ausgesehen habe. Dies war der letzte feste Bezugspunkt, über den sie verfügten. Er lag häufig im Bett – ziemlich unleidlich, um die Wahrheit zu sagen -, und Kates Mutter wusste nicht mehr ein noch aus. Über die Carters, den Grünen Strahl bei Sonnenuntergang oder die Marshmallows, die in der Bar auf Deck vierzehn im Kaffee schwammen, wurde nicht mehr gesprochen. Etwas später jedoch fand Kate einen weiteren Brief, der in Yorkshire abgestempelt war, und als sie danach fragte, antwortete ihre Mutter: »Ich wollte ihnen nur mitteilen, wie es um deinen Papa steht.«
    Kate war so verärgert, dass sie sich wegdrehen musste.
    »Ich wünschte, du würdest das lassen, Mama«, sagte sie.
    »Mein Schatz«, antwortete ihre Mutter, »ich bin zweiundsiebzig Jahre alt.« Aber sie maßte sich nicht an, zu erklären, was das beweisen sollte.
     
    Ihr Vater hatte keinen leichten Tod, als es so weit war, obwohl die Stationsschwester sagte, sie habe schon viel Schlimmeres erlebt. »Ich weiß, dass dies kein Trost für Sie ist.« Am Ende waren sie alle empört – nicht dass es jemanden gab, dem man Vorwürfe machen konnte -, es war einfach empörend, mit ansehen zu müssen, wie die Flut des Todes über ihrem Vater zusammenschlug und sich wieder zurückzog, eine Welle nach der anderen, bis sie schließlich nicht mehr wussten, ob es ihnen lieber wäre, wenn er bliebe oder wenn er von ihnen ginge.

    Und als er schließlich von ihnen ging, konnten sie auch das nicht fassen. Sie sahen einander an, Brüder und Schwestern – zum ersten Mal kamen sie einander wirklich vor. Die Tage, die folgten, hatten etwas sehr Aufrichtiges. Die Beerdigung verlief gut, die Gebete am Grab waren beinahe erträglich, und um ihre Mutter kümmerten sie sich abwechselnd. Sie war natürlich ihre größte Sorge. Sie wünschten sich, ihre Mutter würde endlich weinen, aber sie tat es nicht. Das Leid hatte sie erstaunlich verwandelt. Kates Mutter trug ein taubengraues Kostüm und um den Hals einen blauen Schal. Sie sah aus, wie Lauren Bacall beim Tod Humphrey Bogarts ausgesehen haben mochte: unberührbar. Sie umarmte Nachbarn und Freunde und schüttelte ihnen die Hände, aber keiner kam richtig an sie heran. Das war kein gutes Zeichen. Kate stand auf der anderen Seite der Menschenmenge, lud Trauergäste ins Haus ein und organisierte Mitfahrgelegenheiten, als sie schließlich das Geräusch hörte, auf das sie alle gehofft hatten, seit – nun, seit ihr Vater dahingesiecht war. Es war das Geräusch eines Weinkrampfs. Sie bahnte sich einen Weg zu ihrer Mutter und fand sie schluchzend und dem Zusammenbruch nahe in den Armen eines fremden Mannes.
    »Ist ja gut«, sagte der Mann und strich ihr über das graublonde Haar. »Ist ja gut.«
    Er trug eine sandfarbene Safarijacke; sein Nacken war breit und rot, seine Augen von einem unbestimmten Blau. Eine winzige, mit einem Trenchcoat bekleidete Frau neben ihm hielt die Hand ihrer Mutter und streichelte sie.
    »Ist ja gut«, stimmte die Frau ein. »Ist ja gut, Marjorie. Ist ja gut.«

    Hinter den bebenden Schultern ihrer Mutter hervor streckte der Mann ihr einen kurzen, dicken Arm entgegen, aber er musste sich Kate nicht vorstellen. Sie wusste seinen Namen bereits.
    »Lewis Carter«, sagte er. »Mein Beleid.«
    Und später, als die drei in einer Ecke des Wohnzimmers Some Enchanted Evening sangen, war Kate nicht weiter überrascht. Auch damit hatte sie gerechnet.

Della
    Della musste wieder an den Fluss denken, der schwarz und breit war, und an die nackten Knaben, die an der Uferböschung spielten, alle sehr weißhäutig. Einer von ihnen langte mit einem Stock zum Wasser hinunter, vermochte es aber nicht zu berühren. Man sah, wie sich der Junge von dem steilen Ufer hinabbeugte. Vom anderen Ufer neigte sich ein kümmerlicher Baum herüber, dessen kleine Blätter sich vor dem schwarzen Wasser grau abzeichneten.
    Della hatte keine Ahnung, wo sich der Fluss befand,
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