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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Autoren: Anne Enright
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»Unter den Füßen.«
    »Hast du dir einen Hut gekauft?«, fragte ihn Kate, die aus unerfindlichen Gründen neidisch war.
    »Nein.«
    »Ich hatte dir doch gesagt, du sollst dir einen Hut kaufen.«
    »Ich hab doch meine Kappe«, sagte er.

    Aber dann hörten sie auf, von dem Schiff zu erzählen, und erkundigten sich stattdessen nach der Familie, nach den Kindern und Enkelkindern; wer in dieser Woche wo sei – Kevin, Kates Bruder, hielt sich geschäftlich in Maryland auf und wollte über New York zurückkommen.
    »Ihr hättet doch für ein, zwei Tage hinfliegen und ihn treffen, euch Manhattan anschauen können«, sagte Kate, die, noch während sie sprach, wusste, dass ihnen so etwas nie in den Sinn kommen würde. Sie hatten ihr Abenteuer gehabt. Sie würden Irland nie wieder verlassen.
    »Das Meer hat man ganz vergessen«, sagte ihre Mutter versonnen. Das Schiffsinnere sei hohl gewesen. »Wie ein Raumschiff«, sagte sie. »Oh, es war riesig.«
    So groß wie zwei Fußballfelder hintereinander, ergänzte ihr Vater.
    »Und vier Stockwerke hoch«, fuhr ihre Mutter fort. Mit allen möglichen Restaurants und Bars; thailändisch, mexikanisch – vieles davon sehr scharf, deswegen hätten sie einen Bogen darum gemacht.
    »Nur das Schlafen war schwierig«, sagte ihr Vater.
    Ja, lustig, wie schwierig es gewesen sei, zu schlafen. Man würde meinen, dass das Schiff einen in den Schlaf wiegt wie ein Baby. Und manchmal hätten sie trotz der Größe ein Dröhnen in den Metallwänden hören können.
    »Ganz weit weg«, sagte ihr Vater.
    Die Klimaanlage sei perfekt gewesen, aber beide seien sie hellwach geblieben. Eines Nachts sei sie aus dem Drang heraus, das Meer zu sehen, aufgestanden und kilometerweit gelaufen, am Nachtclub und an den geschlossenen Restaurants vorbei, um den richtigen Lift zu finden,
den, der nach ganz oben fuhr. Und als sie an die frische Luft gekommen sei, erzählte sie, seien die Sterne so wunderschön gewesen, dass man den Eindruck hatte, der Himmel drehe sich. Dann das schwarze Wasser und die Wellen, die sich in einem weißen V brachen, alles unter ihr in ständiger Bewegung, kilometerweit.
    »Schön«, sagte Kate.
     
    Dann hörten sie eine Zeit lang auf, davon zu erzählen – im Hochsommer hätte man meinen können, die Kreuzfahrt sei bereits völlig vergessen -, doch als es Herbst wurde und die Kälte heranschlich, ging es wieder los. Diesmal war sie noch erstaunlicher. Die Kreuzfahrt! Die Kreuzfahrt! Es war ein Traum, von dem ohne Ende erzählt wurde: von den Miniaturarmaturen im Badezimmer bis zu den anderen Paaren, die sie beim Abendessen kennengelernt hatten. Das Paar aus Limerick zum Beispiel, die Feeneys, die ein Möbelgeschäft besaßen, »dreihundertsiebzig Quadratmeter groß!« Auch ein gemischtrassiges Paar sei an Bord gewesen, »ausgerechnet aus Belfast«. Am prominentesten aber waren die Carters aus Yorkshire. Es gab nichts, was Kate nicht über die Carters aus Yorkshire erfahren hätte. Sie wusste, dass die Tochter sich zum zweiten Mal einer Hormonbehandlung unterzogen hatte und dass sie gern Tanqueray Gin tranken. Mr Carter hatte sich die Krampfadern entfernen lassen. Mrs Carter spielte Golf. Sie hatten dafür gesorgt, dass in der Silver Lounge Texas Hold’em gespielt wurde, und beim Steward zu diesem Zweck einen Behälter mit Trockennudeln erbettelt, die sie als Spielgeld einsetzten.

    Mrs Carter hatte erzählt, dass die Friseurin nur fünf Pfund die Stunde verdiene. Mr Carter hatte erzählt, im Gefrierschrank liege eine Leiche – das sei auf großen Schiffen immer so -, und der Chefsteward habe erklärt, bevor sie nach Hause kämen, würden es zwei sein.
    An diesem Punkt schwieg ihre Mutter aus Respekt vor den namenlosen Toten.
    Kate stellte sich einen Werbeleiter im Ruhestand vor, schon von Leichenstarre befallen, während das Schiff das Meer durchpflügte; die Lippen von Eiskristallen bedeckt, der Rücken von den Wellen emporgetragen und wieder fallen gelassen, dies in einem unauffälligen Fach zwischen Frühstücksspeck und Hunderten von Pawlowas, und in den fünf Swimmingpools schwappte das Wasser in die den Wellen entgegengesetzte Richtung.
     
    Als ihr Vater eines Tages wirklich ziemlich krank war, überflog Kate müßig einen Brief, der bei ihren Eltern auf dem Garderobentisch lag. Es handelte sich um einen dieser Rundbriefe, die die Leute zu Weihnachten verschicken. »Stellt euch vor, wie fassungslos wir waren«, las sie, »als wir entdeckten, dass die Pfotenspuren auf dem
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