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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Autoren: Anne Enright
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Keramikwasserkasten. Dann klopfte sie dreimal dagegen.
    Das Geräusch kam am Abend, beschämend: Eins. Zwei. Drei. Er klopfte gegen die Stelle direkt hinter der Uhr auf dem Kaminsims. Della nahm den Schürhaken zur Hand und gab, eine gefährlichen Wallung in ihrem schwachen, alten Herzen, ihrerseits ein Klopfzeichen, zweimal. Die eintretende Stille erinnerte sie an das Gefühl, wenn man sich zu einem Kuss vorbeugt oder sich gerade dazu entschließt, und als ihr Klopfzeichen erwidert wurde, ging sie zum Spülbecken und machte sich eine Tasse Tee. Das reichte fürs Erste. Morgen würde sie eine Schachtel Kekse kaufen, sie würde so tun müssen, als sei nichts geschehen, und nebenan klingeln.
     
    Als sie bei Morgengrauen erwachte und noch immer unten in dem alten Sessel saß, ging ihr auf, dass die am Fluss spielenden Knaben gar keine Genitalien hatten. Unten im Schritt waren sie verschwommen, so wie Engel es sein mochten. Nicht, dass sie keinen Penis gehabt hätten, nur konnte sie sich diesen nicht vorstellen – etwa den des Jungen mit dem Stock, der lotrecht nach unten hing, als er sich weit über das Wasser beugte. Sie konnte ihn zwar denken, aber nicht sehen, obwohl sie wusste, dass er da war.
    Das Geschlinge aus Zweigen und Blättern wiederum stach deutlicher hervor, zerschnitt das Wasser schärfer;
es floss im Strom dahin wie ein sich öffnender Reißverschluss. Della konnte sich nichts anderes darunter vorstellen: einen toten Hund zum Beispiel, eine lebende Wasserratte oder das Periskop eines höchst unwahrscheinlichen Unterseebootes. Die Zweige und Blätter blieben, was sie waren. Wofür sie stets dankbar sein würde.
    Denn die Szene hatte etwas, das ihr zuvor nicht aufgefallen war; eine andere Qualität. Wenn sie intensiv über das Schwarz des Flusses und das Weiß der Jungen nachdachte (waren es vier oder fünf?), wenn sie alles so beließ, wie es war – den Jungen mit dem Stock zum Wasser langen, die zuschauenden Jungen von einem Bein aufs andere treten und das Wasser einfach weiterfließen ließ -, wenn sie sich nicht zu sehr anstrengte, konnte sie es spüren, dort im Bild. Musik. Herrliche Musik. Schwer zu sagen, was für eine Musik.
     
    »Hallo, Tom«, sagte sie an der Tür.
    »Della?«, fragte er. Und sie fühlte sich an seinen Tonfall vor dem Zeitungsladen erinnert, als er ihren Namen mit einer Stimme ausgesprochen hatte, die – wenn man die Augen schloss – die Stimme wahrer Liebe war.
    »Ich habe ein paar Kekse«, fuhr sie fort, um ihn dazu zu zwingen, ihr aufzumachen. Und als er ihr aufmachte – dieses Bild der Verwüstung.
    »Ach, Tom«, sagte sie. »Warum bestellen Sie nicht einfach Essen auf Rädern?«
    »Hab ich doch«, antwortete er, »bis sie mir mein Radio weggenommen haben.«
    »Das haben sie nicht.«

    »Die waren sehr schlau. Stattdessen haben sie mir das hier dagelassen. Nur hat es lauter Löcher.«
    Und schnurstracks steuerte er auf das Radio auf dem Tisch zu, ein gewöhnliches Radio mit gewöhnlichen Löchern, damit der Ton hervordringen konnte. Dellas Sehkraft war nicht die beste – das musste sie zugeben -, aber sie wusste doch wenigstens, was sie sehen konnte und was nicht. Wie typisch für Tom Delaney, dass er sich weigerte zu erblinden, nur weil sein Augenlicht ihn im Stich ließ. Della ärgerte sich so sehr über ihn, dass sie sich vergaß und einen Ton anschlug, als hätten sie einander all die Jahre über nahegestanden.
    »Ich bin zu alt, um hinter dir sauber zu machen«, sagte sie.
    Obwohl die Vorstellung, einen Besen zu nehmen und das ganze stinkende Zeug zur Hintertür hinauszufegen, etwas Tröstliches hatte. Viel einfacher, dachte sie, als bei mir sauber zu machen. Während Lord Lucan dort hinter ihr am Tisch saß und die Löcher an seinem Radio tätschelte oder seine weichen Fingerspitzen nach dem Teller mit Keksen ausstreckte. Das Spülbecken war eine Herausforderung, die sie nicht allein in Angriff nehmen konnte. Dafür würde sie Margaret holen oder sie zumindest dazu bewegen, die Fürsorge anzurufen. Die arme Margaret in Glasnevin, mit ihren drei Kindern im Halbwüchsigenalter und ohne Mann, mit den Brüsten, über die Tom Delaney 1964 gespottet hatte und die jetzt nur noch dann ein Ärgernis waren, wenn sie losrannte, um den Bus zu erwischen. Und das Ganze – diese dreißig Jahre, in denen all das eine Rolle spielte, diese dreißig von achtzig oder
mehr Jahren, die ein Leben ausmachten – kam Della so absurd vor, dass sie laut auflachen musste.
    »Worüber
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