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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Autoren: Anne Enright
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die beiden zu intelligenten Töchter und die sich auflösende Exfrau erwähnte ich nicht. Stattdessen sagte ich, Fintan werde in den Weihnachtsferien eine andere Bleibe finden müssen, da ich mir keine Sorgen um ihn machen wolle, wenn er allein im Haus sei.
    »Auf Weihnachten kommt es nicht an«, sagte er.
    »Ja, klar.«
    Natürlich nicht. Weihnachten fuhr ich zu meiner Familie. Worauf es ankam, war Neujahr, denn wenn es Mitternacht schlug, wäre ich in einem Hotel und würde vor scheußlich gemusterten Gardinen guten Champagner trinken. Würde mit meinem neuen Galan, meinem großen alten, behaarten alten Mister Daddy-O im Bett liegen.
    Und. Und. Und.
    »Und dein Geschirr, Fintan, stört mich nicht, aber Rührei geht entschieden zu weit.«
    Schweigen.
    »Spiegelei?«
    »Spiegelei ist in Ordnung.«
    Fintan hatte recht. Weder um den Champagner noch um die Gardinen sorgte er sich. Ich vermute, sogar der Sex kümmerte ihn nicht. Er sorgte sich um etwas anderes. Um eine kleine Flamme, um die er die Hände legte, die er aber nicht berühren konnte.

    Er ist der sanftmütigste Mann, den ich kenne.
    Aber ein sanftes Gefühl hatte auch ich. Ich wollte sagen, dass dieser Mann – dass dieser Mann irgendwie zu viel Geld und keinen Geschmack besaß, mich aber unbedingt haben wollte. Ich wollte sagen, wie hilflos mich das machte; wie stürmisch und dankbar er für mein Gefühl war. Ich wollte sagen, dass er trübe Wichtigtueraugen hatte, sein Nacken aber wie der Flaum eines Säuglings roch.
    Als ich an dem Abend das Eingangstor öffnete, hörte ich aus dem Haus hinter mir die Klänge eines Klaviers. Es dämmerte. Der trunksüchtige Lehrer von gegenüber hatte seine Weihnachtslichter aufgehängt; in jedem der Fenster eine andere Form. Unten ein Quadrat und einen Kreis, oben ein Dreieck und etwas, das wir Rhomboid nannten, alles in fließendem, aufblitzendem Gold und Weiß. Aus einem Grüppchen Jungen drüben beim Briefkasten flog ein Gegenstand herüber und landete auf der Fahrbahn. Es war ein Skateboard. Die Hände am niedrigen kalten Torgriff, stand ich da und lauschte den ersten Takten der Pathétique .
    Du spielst nur, wenn ich nicht gucke, dachte ich. Sobald ich gucke, hörst du auf.
    Ich stand an der Bushaltestelle, doch als der Bus kam, hüllte ich mich in meinen Mantel und ging zurück zum Haus. Denn wenn er wieder spielte, hatten seine Hände aufgehört zu zittern. Und wenn das Zittern aufgehört hatte, nahm er keine Pillen mehr, und die Hölle war los – Flughafenpolizei, Fintan, der nackt durch Dublin rennt oder, wenn er Glück hat, durch Paris; Fintan, der auf den
Brüstungen von Gebäuden oder Brücken balanciert, die Taschen voller Steine.
    Ich hatte ihn nie so ganz im Leben stehend erlebt. Ich war nicht da, als es anfing, im Sommer nach unserer Abschlussprüfung, die er natürlich schamlos gut bestanden hatte. Wie sich später herausstellte, waren seine Notizen in verschiedenen Farben geschrieben, einige sogar verschlüsselt. Aus der Badewanne war blaue Tinte abgelaufen, die getrocknete Lache hatte das Emaille verfärbt. Als ich nach Hause kam, war sie noch vorhanden – zutiefst traurig. Das Blau seiner Gedanken, das Blau seines Geistes, dachte ich, während ich vergeblich versuchte, es wegzuschrubben, oder wenn ich im Badewasser hockte und es betrachtete.
    Als er sechs Monate später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war sein Zimmer noch da – selbstverständlich war es das. Niemand würde Fintan hängen lassen. Unser anderer Mitbewohner (und mein Ex) Pat baute irgendwas in Deutschland auf und war immer nur da und gleich wieder weg. Ich hatte einen Job. Im Lauf der Jahre machte sich unsere Wohngegend allmählich. Und dann gab es nur noch Fintan und mich.
    Jetzt gab es nur noch mich, weinend auf dem Rückweg von der Bushaltestelle, angezogen vom Klang seines Klavierspiels, vorbei an den mit Rauputz überzogenen, blau, grau und dunkelgrün gestrichenen Reihenhäusern. Die Frau, die wir Bubbles nannten, stand in einem dünnen pfirsichfarbenen Morgenmantel in der Haustür und lauschte. Sie sah, wie ich mir die Nase putzte. Ich lachte und winkte sie fort. Ich wusste nicht, warum ich weinte.
Wegen der Musik. Vielleicht wegen des Typen, den ich auf dem College gekannt hatte, mit dem knabenhaften Körper und dem königsblauen Pullover. Und wohl auch wegen der Tatsache, dass seine Hände die ersten waren, die ich je geliebt habe. Sie waren so weiß.
    Als ich meinen Schlüssel ins Türschloss steckte, brach das
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