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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Autoren: Anne Enright
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Keiner von uns kam es in den Sinn, meinen Schlüssel zu benutzen oder auch nur an der Haustür zu klopfen. In der Küche brannte Licht – daran erinnere ich mich. Wir befreiten eine Backsteinmauer von Efeu und steckten uns die Zweige ins Haar. Bei einem Ritual in den Blumenbeeten verlor ich mein Höschen. Meine älteste Freundin Cara machte Fotos, daher weiß ich das alles – zwei der Mädels versuchten, mir die Bluse auszuziehen, Breda zerfetzte die Dahlien (offenbar waren es »langweilige Blumen, langweilige Blumen!«), und irgendeine, es sieht ganz nach Jackie aus, knutschte mit Fintan an einem Baum. Auf dem Foto besteht er nur aus Hals. Den Kopf hat er für den Kuss nach hinten geneigt, sodass das Blitzlicht seinen Adamsapfel und die blauweiße Haut unter seinem Kinn erfasste.
    Auch ich hatte ihn einmal geküsst, in meinem zweiten Jahr am College, bevor er verrückt wurde oder was auch immer. Bei einer Party saßen wir auf dem Fensterbrett, hüllten uns in die Vorhänge und unterhielten uns eine Weile miteinander, die Köpfe gegen die kalte Fensterscheibe gelehnt. Ich erinnere mich noch an die Stille draußen, an die Vorhänge, die auf uns ruhten, den Mief und das Gequassel im Raum. Irgendwann küsste ich ihn. Und das war alles. Die Haut an seinem Mund
war entsetzlich dünn. Schon damals hielt Fintan es mit dem Augenblick. Als bewege er sich durch Flüssigkeit, während wir anderen uns mit Luft begnügten.
     
    So, jetzt bin ich also verheiratet, was immer das bedeutet. Ich glaube, es bedeutet, dass ich nun Bescheid weiß.
    Da ich ab sofort in diesem Haus mit den langweiligen Blumen und mit den von Efeu berankten Mauern wohne, weiß ich, dass ich Fintan nicht nur »fast« geliebt habe – ich habe ihn geliebt. Punktum. Und ich kann nichts dagegen tun – gegen die Tatsache, dass ich ihn jahrelang geliebt habe, ohne es zu wissen. Gar nichts wusste ich.
    Ich schlafe ganz entspannt neben meinem Gatten, meinem gierigen alten Mann. Denn irgendwie hat er recht – Fintan hat immer irgendwie recht. So viele von den Männern, denen man begegnet, sind tot. Einige von ihnen sind auf nette Art tot, andere einfach nur tot. Das macht sie leicht verführbar. Das macht ihre Verführung gefährlich. Sie schenken einem ihre weiße Blindheit.
    So ist es leicht, neben ihm unter den Laken zu liegen und nicht viel nachzudenken. Neben meinem behaarten alten Säugling. Der alles für mich tun würde. Er gibt Geld für mich aus, es scheint ihm Vergnügen zu bereiten – mehr Vergnügen als das, was er letztlich kauft, denn tote Männer kennen nicht den Unterschied zwischen Dingen, die leben (ich zum Beispiel oder gar Meine Möse), und Dingen, die tot sind, nämlich Sein Geld, das einfach nur ein getrockneter Haufen Scheiße ist und wofür sich ein Leben im Hause der Toten nicht lohnt. Also rede ich weiter, und er ist weiter tot und schenkt mir Dinge, die
bereits verwest sind (einen »wunderschönen« Seidenschal, ein Auto, mit dem ich irgendwohin fahren könnte, zwei Bücher, die durchaus richtigen Büchern ähneln, die ich gern lesen würde). Ringsumher herrscht die Verschwörung der Toten, und die Oberkellner lächeln noch immer geziert, wie es Oberkellner eben tun, während die Gerichte auf der Tischplatte es auf ermutigende Weise miteinander treiben.
    Inzwischen ist mir übel. Dieses Leben ist nichts für mich. Seine frühere Frau hat Probleme mit Zysten, irgendwas Schreckliches mit dem Rücken, Zerfallserscheinungen. Ich höre ihr Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ich sehe das Scheckbuch mit ihrem Namen, der unter seinem gedruckt ist. Ich bin dünner, meine Garderobe ist kostspieliger geworden. An den Wochenenden trifft er sich mit seinen Töchtern, die in Mathe immer ein kleines bisschen besser werden, ihr Lächeln immer süßer, ihre Schleifchen ein kleines bisschen gerader; unter der Gesichtshaut treten bereits die Wangenknochen hervor, zu früh, zu schön und bestürzt.
    An den Nachmittagen treffe ich mich mit Fintan, und wir haben Sex, süß wie Regenwasser. Ich brauche die Sonne mehr als alles andere, und wir ziehen uns in ihrem Licht aus. Ich öffne die Vorhänge und schaue aufs Meer. Inzwischen ist er verrückter denn je. Ich glaube, er ist ziemlich verrückt. Er ist kaum mehr vorhanden. Hinter meinem Rücken höre ich Fäden reißen. Ich drehe mich zu ihm um. Zusammengerollt liegt er im Nachmittagslicht auf dem Laken, auf seinem Rücken zeichnet sich die Linie seiner Wirbel ab, hinter seinen Knien biegen sich
die
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