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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Autoren: Anne Enright
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auch nur ein Wort darüber. Überall auf der Welt, nur hier nicht.«
    Wambuis Freundin hieß Brigid, und sie war wirklich nett. Sie erzählte, sie sei in Nigeria von irischen Nonnen unterrichtet worden, und dann streckte sie zum Beweis
die Hand aus. »Sieh dir die Narben an.« Brigid war lustig, mit einem richtig trockenen Humor. Sie schlug Karen vor, sich Cornrows ins Haar flechten zu lassen. Karen war tatsächlich interessiert und stellte ihr eine Menge Fragen. Als sie gegangen war, lachten Brigid und Wambui so laut, dass sie sich an den Möbeln festhalten mussten. Wie immer verstand Li den Witz erst eine halbe Stunde später, und das löste erneut Gelächter aus. Li gab ein seltsames Schnauben von sich. Ich glaube, es war ihr peinlich, laut loszulachen.
    Aber als meine Haare wieder nachwuchsen, wurde mir klar, wie unglücklich ich war. Ich ging zum College-Arzt und sagte, dass ich einen Knoten in der Brust vermutete. Er tastete beide Brüste ab, erkundigte sich nach meiner Verhütungsmethode und gab mir ein paar Schlaftabletten. Er empfahl mir, zum psychologischen Beratungsdienst zu gehen. Ich befolgte seinen Rat, doch die Frau dort fand alles, was ich sagte, einfach nur lustig. Sie sagte, sie liebe meinen Akzent. Die Tatsache, dass ich hier sei, beweise doch, dass ich zu den Aufgewecktesten gehöre, ich brauchte nur mein Selbstwertgefühl zu stärken.
    Ich war jedoch nicht der Meinung, von aufgeweckten Menschen umgeben zu sein. Eigentlich fand ich einige von ihnen ziemlich dumm. Bis auf diesen Typen aus New York, der wahnsinnig schlau war, auf die langweilige Art. Den Aufsatz, den ich für die Zwischenprüfung geschrieben hatte, bekam ich mit der Bewertung »gut« zurück, obwohl es hieß: »Sie wissen nicht, was ein Absatz ist.« Danach blieb ich öfter zu Hause und ließ mir die Haare wieder wachsen.

    Abends lief ich zum See hinab. Ich stellte mich mit dem Rücken zum Wasser und prüfte in allen mir bekannten Zimmern, ob Licht brannte, um zu sehen, wer zu Hause war und wo sich alle aufhielten. Es dauerte Wochen, bis ich merkte, dass sie alle büffelten. So richtig büffelten. Wenn sie sich irgendwo vergnügt hätten, hätte ich das gewusst. Heimliche Vergnügungen gab es nicht.
     
    Einmal wachte ich nachts auf und sah Li bei mir im Schlafzimmer stehen, in den Händen ein Kopfkissen, oder vielleicht drückte sie es auch an die Brust. Jedenfalls stand Li mit einem Kopfkissen da in der Dunkelheit, und ich musste mich vergewissern, dass ich nicht träumte.
    »Oh, Li«, sagte ich. Da ich noch halb schlief, brachte ich die Wörter nur kraftlos und undeutlich heraus. Beinahe liebevoll. Darauf drehte sie sich um und ging wieder hinaus.
    Vielleicht wollte sie einfach nur ein bisschen Gesellschaft. Es war die erste Nacht der Weihnachtsferien. Karen war nach Hause gefahren, und Wambui besuchte Freunde in Chicago. Ich hatte kein Geld, um irgendwohin zu fahren, und Li vermutlich erst recht nicht. Wir waren also nur zu zweit und fühlten uns ein wenig sitzen gelassen.
    Am nächsten Tag sagte ich nichts. Es gab nichts, was ich hätte sagen können. Sie tat mir ein bisschen leid, das war alles. Ich fragte mich, ob sie einfach nur bei mir schlafen wollte, wie es junge Frauen – das hatte ich Karen ja erklärt – überall auf der Welt tun, nur hier nicht. Oder wollte sie etwa mit mir schlafen, wie es junge Frauen
tatsächlich tun (besonders hier)? Der Gedanke an ihren dünnen, kleinen Körper erregte mich irgendwie, allerdings auf nicht sehr angenehme Weise.
    Unterdessen büffelte sie wie gewöhnlich in ihrem Zimmer und schnäuzte sich wie gewöhnlich im Bad unter fließendem Wasser die Nase, was bei mir einen gewissen Brechreiz hervorrief. Dann wieder war sie so still, dass ich nachsehen wollte, ob sie vielleicht tot umgefallen war.
    Von Zeit zu Zeit prallten wir im Wohnzimmer aufeinander, dann stellte sie mir manchmal Fragen: Was hältst du von Werbung? Oder: Ist es wahr, dass man Kindern hier Medikamente gibt, um sie ruhigzustellen? Oder: Bist du kurzsichtig? Hast du Voltaire gelesen? Einmal, als wir uns besonders lang angeschwiegen hatten, beschloss sie, mir eine Reihe von Augenübungen vorzuführen, die in China üblich seien. Sie bewirkten, dass viele Menschen dort »keine Brille benötigen«. (Ach, wirklich?) Man musste sich mit den Daumen zwischen den Augenbrauen reiben, an bestimmten Punkten des Augapfels und der Augenhöhle den Zeigefinger kreisen lassen und anschließend eine Weile in die Ferne starren. Da saßen
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