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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Autoren: Robert Misik
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hartnäckiges kulturkritisches Vorurteil, dass
     der Massenkonsum die Welt eintöniger und notwendigerweise schlechter macht. Schon frühere Kritikergenerationen beklagten das
     Verschwinden der Individualität als Folge der Massengesellschaft. Für den Kulturkapitalismus lässt sich das freilich nur schwer
     behaupten. Im Wettbewerb um Marktanteile werden immer mehr Zielgruppen erfunden und immer mehr Güter angeboten, die die Angehörigen
     unzähliger Zielgruppen unbedingt haben müssen, um sich von den Angehörigen anderer Zielgruppen zu unterscheiden. Der zeitgenössische
     Kapitalismus befördert keineswegs Konformismus, im Gegenteil: Jede Form der Individualität ist ihm willkommen, gerne auch
     Patchwork-Identitäten, denn für fast jeden denkbaren Lifestyle hat er die zugehörigen Gadgets schon im Angebot – und wenn
     nicht, schickt er seine Trendscouts los, um entsprechende Waren zu entwickeln. Das macht die Welt auch bunter. So viel zum
     Thema Glanz.
    Aber so, wie das Konsumgut meist nicht gratis ist, ist auch die Konsumkultur nicht ohne Preis zu haben. Sie formt sich unsere
     Städte, sie richtet sich die Subjekte her, sie schreibt sich ein in unser Innerstes. Mit unserer Umwelt interagieren wir,
     indem wir kaufen. Innenstädte sind von Shopping Malls nur mehr schwer zu unterscheiden. Wer etwas erleben will, wählt aus
     den Angeboten der Erlebnisindustrie aus. Die Jagd nach dem Neuen ist dem Konsumbürger zur zweiten Natur geworden. Wenn’s mit
     den Freunden nicht so klappt – weg mit ihnen, man kann sich ja neue suchen (so sind wir es von den Waren gewohnt). Um die
     nächste Ecke wartet bestimmt ein noch aufregenderer Mensch. Der Homo shoppensis ist doch ein recht eindimensionales Wesen.
     Der Konsumkapitalismus |13| hat, bei allem Glanz, zweifelsfrei auch etwas Elendes.
    Öffentlicher Raum ist Werbe-Raum.
    Fassadendeckende Handywerbung in Berlin, Rosenthaler Platz
    Gewiss bin ich nicht der Erste und Einzige, der sich darüber Gedanken macht. Ziel dieses Buches ist es, erstmals umfassend
     darzulegen, was aus der Ökonomisierung der Kultur, die gleichzeitig eine Kulturalisierung der Ökonomie ist, folgt. Die Kultur
     selbst ist, wie Franz Schuh mit unverwechselbarer Ironie schreibt, »eine Wachstumsbranche« |14| 5 . Kreativität ist heute eine der wichtigsten Produktivkräfte.
    Der Kreative wird zum Leitmodell des flexiblen Arbeitnehmers. Künstlertugenden, einst Gegenteil der Charaktereigenschaften,
     die in der Wirtschaftswelt erwartet wurden, werden heute in jedem Büro großgeschrieben. Der Kampf um Aufmerksamkeit tobt.
     Die Symbol- und Zeichenmächtigen sind gefragt – und hoch bezahlt – im Kulturkapitalismus. Noch die Subkultur wird gewinnbringend
     vermarktet. Ein kreatives Leben ist heute nichts, was sich eigenwillige Naturen gegen widrige Umstände zu erkämpfen hätten,
     Kreativität ist etwas, was von allen gefordert wird – bisweilen gar auf etwas herrische Art und Weise.
    Wenn heute wieder von der »Unterschicht« die Rede ist, dann liegt schnell aller Ton auf der Kultur der Unterschichten, auf
     dem Unterschichten-Lifestyle, dem Unterchic – über die materielle Bedrängnis der da unten wird dann deutlich weniger geredet.
     Schließlich ist ja jeder für seinen Lebensstil selbst verantwortlich. Und auch der »Kampf der Kulturen« hat mehr mit »Kultur«
     in engem Sinn zu tun, als man beim saloppen Gebrauch der Metapher ahnt – er ist nämlich ohne die universelle Verbreitung eines
     kulturellen Zeichensystems und die Revolte gegen dasselbe kaum hinreichend erklärbar.
    Konsum von Stil und Kultur hat eine ebenso wichtige Bedeutung für die Bearbeitung und Veränderung der äußeren Lebenswelt wie
     für die Selbstbearbeitung der Innenwelt der Subjekte – womit aber auch Konsumieren eine »Produktionsform« ist. Das, kurzum,
     ist die zentrale These dieses Buches. Altbackene Konsumkritik, die dem Verbraucher einerseits ein schlechtes Gewissen macht
     und ihn andererseits entlastet, indem sie unterstellt, er sei nur Marionette böswilliger Konzerne, ist meine Sache nicht – |15| über retrolinke Plumpheiten dieser Art ist die Zeit hinweggegangen. Für eine dürre Apologie des Kulturkapitalismus und der
     Konsumkultur gibt es freilich noch viel weniger Anlass.
    Wenn man die Konsumkultur kritisieren und ihre schlimmsten Auswirkungen korrigieren will, muss man sie zunächst in all ihren
     Ambivalenzen verstehen, auch um differenzieren zu können, welche Korrekturen notwendig
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