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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Autoren: Robert Misik
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Konkurrenz ja nicht so sehr, dass er bedienerfreundlicher oder leistungsstärker als seine Rivalen wäre, sondern dass
     es hip ist, zur iPod-Community zu zählen. Diese Hipness lässt die Apple-Kassen klingeln, und zwar nicht nur deshalb, weil
     der Technikkonzern dadurch höhere Preise durchzusetzen vermag, sondern vor allem wegen der viel höheren Marktdurchdringung.
     Wenn Produkte dagegen mehr auf der Gebrauchswertseite punkten wollen, etwa mit mehr Leistungsstärke, stoßen sie heute oft
     schnell in die »Sphäre des Unbrauchbaren« 7 (so der Soziologe Gerhard Schulze) vor: Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit von Autos in lebensgefährliche Dimensionen, Erhöhung
     der Lautstärke von Boxen in Dezibel-Sphären, die, tatsächlich genutzt, sofortige Taubheit zur Folge hätten. Oft schaden sogar
     diese »marginalen Differenzen … der technischen Zweckmäßigkeit« 8 , wie Jean Baudrillard feststellte, etwa wenn das originelle Design eines Autos zwar |19| gut aussieht, aber gegen die Normen der Strömungslehre verstößt.
    Der amerikanische Werbekritiker Vance Packard, Autor der längst legendären, kanonischen Schrift »Die geheimen Verführer«,
     kam schon in den fünfziger Jahren zu dem Schluss: »Je größer die Ähnlichkeit zwischen den Produkten, desto geringer ist die
     Rolle der Vernunft bei der Markenwahl.« 9 Die Vernunft werde gewissermaßen ausgeschaltet, indem die Güter mit produktfernen Charakteristika aufgeladen werden, die
     die Verbraucher zum Kauf der Marke »verführen« sollen. Dabei ist natürlich fraglich, ob die These vom »unvernünftigen« Kaufakt
     ganz überzeugend ist, unterstellt sie doch, die Verbraucher seien »in Wirklichkeit« bloß an dem Gebrauchsgut interessiert,
     ohne zu erwägen, dass sie womöglich gerade die kulturellen Faktoren nachfragen – ob es ihnen, kurzum, nicht eigentlich um
     die Konsumtion der »Markenidentität« geht, die sie für die Produktion ihrer eigenen Identität nutzen. »Heute«, schreibt der
     britische Marketingguru Wally Olins, »setzen wir die funktionellen Charakteristika eines Produkts einfach als garantiert voraus,
     was die Marke auszeichnet, ist ihr Image.« 10 In der entwickelten Wohlstandsgesellschaft kommt es also zu einer »Verschiebung von der Warenproduktion zur Imageproduktion«,
     wie das Holger Jung und Jean-Remy von Matt, die Gründer der Werbeagentur Jung von Matt, formulieren. 11 Bis hin zu den preiswertesten und banalsten Produkten, so der Berliner Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Buch »Habenwollen«,
     in dem er die Funktionsweise der Konsumkultur zu ergründen versucht, »reicht das Bemühen der Hersteller, potenzielle Kunden
     nicht nur mit einem Gebrauchswert oder einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis zu überzeugen, sondern ihnen dank der Warenästhetik
     eine Identifikationsmöglichkeit zu bieten« 12 .
    |20| Für die warenproduzierenden Firmen heißt dies, dass der alte Kalauer plötzlich eine eigene, tiefere, ja überlebenswichtige
     Wahrheit verliehen bekommt: Design oder Nicht-Sein.
    Im klassischen Kapitalismus, mochte er auch die Lebenswelten mit seinem Geist, seiner Kultur durchdringen, wurden nicht in
     erster Linie kulturelle Güter produziert, sondern Gebrauchswerte. Nur dadurch machte die Aufrechterhaltung der Differenz zwischen
     der Welt der Kultur oder, wenn man so will, der Sphäre der »Werte« und der Welt der Dinge überhaupt Sinn. In der neuesten
     Etappe der kapitalistischen Produktionsweise, im Kulturkapitalismus also, ist diese Trennung aufgehoben: Kultur ist Kapital.
     Und vice versa: Kapital ist Kultur. Natürlich kann man kulturpessimistisch Klage führen – über die Totalökonomisierung, die
     auch die Kultur verdinglicht. Was solche molltönende Rede oft übersieht: Die Folge ist eben nicht nur die Verdinglichung der
     Kultur, wie allgemein beklagt, sondern gleichzeitig auch die Kulturalisierung der Dinge. Die Marke wird zum Kunstwerk. Das
     schleicht sich in die Alltagssprache ein und in die Managementdiskurse – sofern diese heute überhaupt noch leicht auseinanderzuhalten
     sind. Wir kennen alle die Schlagworte: Das »Manage ment by Culture« in den multinationalen Konzernen, das »myth-making« zu Brandingzwecken, die Überhöhung des Wirtschaftens zu »Kaffeekultur«,
     »Körperkultur«, »Wohnkultur«, »Freizeitkultur« etc.
    Totalökonomisierung heißt im Umkehrschluss also auch: Totalkulturalisierung.
    Die Zeit, als man noch dem naiven Glauben anhängen konnte,
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