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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Autoren: Robert Misik
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Geschäftserfolg habe etwas mit materiellen Dingen zu tun, ja, als
     man noch, wie Karl Marx in Anlehnung an David Ricardo, ein »Wertgesetz« formulieren konnte, dem zufolge der »Wert« und folglich
     auch der »Preis« |21| eines Produktes sich im Wesentlichen durch die in ihm materialisierte Arbeitskraft bestimme, ist ein für alle Mal vergangen.
     Gewiss hat dieses Wertgesetz noch in beschränktem Maße, quasi negativ, Gültigkeit – kein Produkt bleibt lange am Markt, wenn
     seine Produktionskosten seinen Preis übersteigen, und keine Firma bleibt längere Zeit solvent, wenn sie dieses »Gesetz« chronisch
     missachtet. Aber das ändert nichts daran, dass der »Wert« einer Firma eine zunehmend imaginär-materielle Größe ist: einerseits
     etwas wolkig, andererseits ganz real. So wird die Liste der internationalen »Top Brands«, gemessen an ihrem Markenwert, seit
     Jahren von der Firma Coca-Cola angeführt, gefolgt von Microsoft, IBM, General Electric, Intel, Disney, McDonald’s, Nokia,
     Toyota, Marlboro, Mercedes, Hewlett-Packard, Citibank, American Express, Gillette, Cisco, BMW, Honda, Ford, Sony, Samsung,
     Pepsi, Nescafe, Budweiser, Dell, Meryll Linch, Morgan Stanley, Oracle, Pfizer, J. P. Morgan, Nike … 13
    Auffällig ist zunächst eines: Hier finden sich Unternehmen, deren Erfolg auf avancierter Technik beruht, traut vereint mit
     solchen, die an sich recht simple Güter herstellen, Konzerne, die über großes Anlagevermögen und teure Fabriken verfügen,
     ebenso wie solche, die bloß Abfüllanlagen oder irgendwelche vergammelten Schneidereien brauchen, forschungsintensive Branchen
     ebenso wie solche, in deren Fabriken einfach Zigaretten gerollt und verpackt werden. Aber allen ist gemeinsam: Sie sind Marken,
     die jeder kennt. Und das ist ihr eigentliches Kapital. »Der monetäre Wert der Marke Coca-Cola wird auf ca. 70 Milliarden Dollar
     geschätzt, das waren 2003 über 60 Prozent des gesamten Unternehmenswertes«, schreibt Alexander Schubert über die »Brand Religion«.
     Dagegen ist das »materielle Anlagevermögen des Konzerns mit gut 10 Milliarden Dollar verschwindend gering« 14 . Brands, |22| also die Identifizierung eines Produktes mit einer Marke, einem Logo und einem positiven Markenimage, stellen »das wirkliche
     Kapital einer Company dar«, urteilt deshalb Jean-Noël Kapferer, Professor für Marketing an der HEC-School of Management in
     Paris. 15
    Der Anteil von Markennamen im Wortschatz eines zweijährigen Kindes beträgt durchschnittlich 10 Prozent, wie Studien ergaben. 16
    Branding, der Begriff kommt übrigens von der bekannten Usance amerikanischer Viehzüchter, ihre Tiere mit glühenden Eisen zu
     markieren, ist simpel und kompliziert zugleich. Man markiert ein Produkt – oder gleich einen ganzen Konzern – mit einem Image,
     Werten, Tugenden, Sehnsüchten. Etwa mit Freiheit, mit Lebenslust, mit Gesundheit, mit roher Kraft, mit Natürlichkeit, mit
     Abenteuergeist, was auch immer – man kann sagen, mit irgendeinem »Anderen« des Kapitalismus, mit dem Gegenteil von berechnender
     Geschäftstüchtigkeit. Wir wissen alle »irgendwie«, womit die Marke Marlboro verbunden ist – mit dem »Archetypus Cowboy«, wie
     Mathias Horx schreibt, dieser eigentümlichen Mischung aus alten und neuen Werten. »Er ist der anarchische Spießer, der konservative
     Rebell, der wir in der Tiefe unserer Seele alle sind: Wir alle wollen Freiheit und Sicherheit, Wildheit und Kontinuität.«
     Camel wiederum ist mit Stärke und Risikobereitschaft verbunden. Perrier dagegen, ein simples Mineralwasser, ist stark darin,
     Gesundheit zu repräsentieren. Durch Werbung und Marketing, also durch nichts weiter als durch Kommunikation, wird das Wasser
     mit »Reinheit, Aktivität und Fitness verbunden«, so Wally Olins: »Es ist primär Kommunikation, die Perrier und andere so erfolgreich
     macht.« 17
    Gewiss, mit einem ordentlichen Werbeetat kann man beinahe aus jedem nützlichen – und manchmal auch unnützen |23| – Gut ein Kultding machen. Dennoch ist Branding natürlich eine extrem komplexe Operation. Man muss ein Ding mit »Werten« aufladen
     – »Brand Values« –, ganz ohne Ironie ist in der Marketingliteratur von der »Persön lichkeit « der Marke, vom »Brand Statement« die Rede, von der Notwendigkeit, mit zwei oder drei Wörtern die »Essenz« der Marke zu beschreiben, 18 damit diese sich regelrecht ins Bewusstsein des Publikums einbrennt.
    Die Geschäftsregel des Kulturkapitalismus
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