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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Autoren: Robert Misik
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Mensch von Sezuan«: »Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß! / Es muß
     ein guter da sein, muß, muß, muß!«
    Man kann die Analysen, die hier vorgebracht wurden, gewiss unterschiedlich lesen. Der eine wird vielleicht sagen: »Man kann
     ohnehin nichts tun. Angesichts des totalen, paradoxen Raumes der Konsumkultur bleibt einem |189| nichts anderes übrig, als mitzutun.« Die Nächste wiederum wird sie als Beweis für die völlige Perversion eines Systems lesen,
     das seinen Untergang verdient habe. Der Dritte wird vielleicht meinen, mit Aufklärung könne man die Menschen dazu bringen,
     das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Und die Vierte wird womöglich anmerken, verglichen mit früheren Epochen sei
     der Konsumkapitalismus geradezu ein Paradies an Freiheit, Wohlstand, Lebensfreude.
     
    Ich denke, ein Anfang wäre schon gemacht, wenn wir unser Bewusstsein für die Mechanismen, die Dynamik und die Paradoxien des
     Konsumkapitalismus schärfen. Selbst wenn wir Teil dieses Systems sind und selbst »mitma chen «, ist es doch ein Unterschied, ob ich weiß, wobei ich mitmache, oder nur bewusstloses Objekt bin. Es ist eine Sache, ein
     Spiel blind mitzuspielen. Es ist eine andere Sache, wenn ich die Regeln des Spiels kenne. Ich gewinne dann, auch wenn ich
     nicht Autor der Regeln bin, an Souveränität zurück. Bis zu welchem Grad ich mitmache, ist dann eine souveräne Entscheidung.
     Ab welchem Punkt ich mich verweigere, ebenso (auch wenn ich weiß, dass die Verweigerung am Gesamtsystem vielleicht nichts
     ändert). Und gegebenenfalls kann ich dann entscheiden, welche Aspekte des kulturkapitalistischen Arrangements ich aktiv bekämpfe.
    Insofern ist Aufklärung immer noch Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit.
    Der Einzelne kann etwas tun. Aber natürlich ist seine Reichweite als Einzelner begrenzt. Im Bioladen einkaufen hat gewiss
     seine positiven Seiten, wird aber an der Umweltzerstörung nichts ändern, solange es keine verbindlichen Gesetze gibt, die
     den Ausstoß der Treibhausgase reduzieren. Wenn Konzerne das »sozial verantwortliche |190| Wirtschaften« auf ihre Fahnen schreiben, ist das sehr lobenswert, aber kein Ersatz für klare Regeln. »Kinder brauchen Grenzen«,
     lautet ein alter pädagogischer Lehrspruch. Unternehmen noch viel mehr. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Lohndumping zu
     bekämpfen (Mindest löhne , internationale Verträge, Verbesserung der Ausbildung der Arbeitskräfte, was ihre Marktposition stärkt). Der moralische Appell
     an die Unternehmer ist die am wenigsten Erfolg versprechende Möglichkeit – wenngleich freilich auch nicht völlig sinnlos.
    Gefragt ist also der Staat. Für jeden Einzelnen von uns ist es gelegentlich bequem, im Shopping Center einzukaufen, und manchmal
     auch vergnüglich, im Urban Entertainment Center abzuhängen. Für uns alle gemeinsam ist es aber ein Problem, wenn unsere Städte
     mit billigen Glitzertempeln vollgemüllt werden, oder wenn sich die Citys in aseptische Themenparks verwandeln. Unser kulturelles
     Leben wird ärmer, wenn Kunst, die sich kommerziell nicht trägt, keine Chance mehr hat. Und das Leben in unseren Gesellschaften
     wird härter, wenn sich das Bildungssystem in Schulen für das A-Team und Schulen für die B-Teams aufspaltet. Wenn kulturelle
     Kompetenzen dramatisch an Bedeutung gewinnen, hat das entscheidende Auswirkungen auf die Gleichheitskultur von Gesellschaften.
     Wenn Politik das lange ignoriert oder gar die falschen Weichenstellungen vornimmt (viel Eliteförderung, wenig Investition
     in Problemzonen), dann werden die Konsequenzen höchst unerfreulich sein. Mit einem Wort: Die Verwandlung des modernen Kapitalismus
     in einen Kulturkapitalismus stellt nicht nur an den Einzelnen die Frage: »Was soll ich tun?«, sie ist vor allem auch eine
     Herausforderung an Stadtplaner, Kulturpolitiker, Bildungspolitiker, Medienpolitiker.
    Das müsste letztlich das Ziel der Politik, aber auch der |191| Entscheidungen sein, die der Einzelne trifft: Souveränität zurückzugewinnen. Räume zurückzugewinnen, die von der Kommerzkultur
     nicht vollends determiniert sind, wobei Räume sowohl im buchstäblichen wie im metaphorischen Sinn gemeint sind. Alle Paradoxien
     von Kommerz, Lifestylekonsum, Identitätsshopping werden dadurch, auch das muss klar sein, nicht mit Haut und Haaren aus der
     Welt zu schaffen sein. Mit manchen Widersprüchen werden wir leben müssen, und der moderne Mensch hat auch schon einige
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