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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally
Autoren: Arno Geiger
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abgeholt, damit man sie vor den anderen Passagieren ins Flugzeug bringen konnte. Alfred stand mit dem Gepäck im dichten Pulk von Menschen, die zum Boarding drängten. Keuchend schlürfte er die dicke, körperliche Luft seiner Mitreisenden.
    Sally gesellte sich zu ihm, sie stieß ihren Kaffee auf, vom Frühstück war ebenfalls noch etwas dabei, es roch nach Rührei.
    »Es wird dunkel sein, wenn wir ankommen«, stellte sie fest. Sie räusperte sich. Und weil zur selben Zeit eine resignierte Frauenstimme bekanntgab, mit welchen Sitzplatznummern das Boarding beginnen konnte, geriet Alfred in Wut.
    »Jetzt habe ich nichts verstanden!« schnauzte er. »Du besitzt ein besonderes Talent, immer dann zu reden, wenn eine Durchsage gemacht wird.«
    Er ging zum Schalter und erkundigte sich.
    »Eins bis sechzehn«, sagte er enttäuscht.
    »Zu früh gefreut«, sagte Sally. »Dann können wir uns ja wieder hinsetzen.«
    In Ermangelung jedweder Möglichkeit, die Reise zu beschleunigen, räumte Sally eine Zeitung beiseite und plumpste in die freigemachte Schale. Die Schenkel eng übereinandergeschlagen, den Oberkörper über die Beine gebeugt, stierte sie auf ihre Schuhe. Sie fand, dass etwas unglaublich Ermüdendes in Alfreds Hektik lag, der Druck, den seine Ungeduld erzeugte, brachte keinerlei Zeitgewinn, und auch die Beziehungen zwischen den Menschen besserten sich dadurch nicht. Das leere Getriebe zerstreute nicht einmal Sallys bange Gedanken, die sie nicht haben wollte. Überfallartig, wie angespornt von dem unruhigen Treiben, schossen Bilder von zu Hause heran. Sally versuchte sie wegzudrängen, aber sie sprangen wie an elastischen Fäden zurück und brachten neue Bilder mit, wie in einem Kinderspiel, Phantasie weckt Phantasie. Und auch der Versuch,die Ferienstimmung zurückzurufen, die sie beim Kaffeetrinken gehabt hatte, schlug fehl. Ihr fiel wieder ein, dass man in den Ferien erst angekommen ist, wenn man sich der Zeit überlegen fühlt. Die Ferien fingen immer erst an, wenn man wusste, dass man mehr Ausdauer haben würde als der Tag.
    »Hoffentlich geraten die Einbrecher beim Aufteilen der Beute in Streit und schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein«, sagte Alfred.
    Er hatte sich wieder neben Sally gesetzt und beobachtete von hier aus die Abfertigung der Passagiere, die ihm kränkenderweise vorgezogen wurden. Die Welt war unfassbar rücksichtslos. Visionen von beutebeladenen Dieben, die in Leintücher verknotet davontrugen, wozu sie kräftemäßig imstande waren, bedrängten ihn.
    Die Flugtickets rasselten durch ein Registriergerät. Vor der großen Glasfront schossen Fahrzeuge vorbei, die keine Nummernschilder trugen. Dann endlich wurde das Boarding auch für die hinteren Reihen freigegeben. Sally hielt Pass und Ticket bereit, schon wieder trat sie zu jemandem hin, der sie mit sachlicher Aufmerksamkeit musterte, ohne dass etwas hängenblieb. Diesmal eine Frau in blauer Uniform mit weißer Bluse. Und Sally, Sally Fink? In lindgrünem Rock über einer schwarzen Hose, schwarzes T-Shirt, eine Frau in mittleren Jahren. Sie war im Zeitalter der Psychologie und Atombombe geboren und hatte von geregelten Familien- und Lebensverhältnissen in ihrer Kindheit nur ärmliche Begriffe vermittelt bekommen – rückblickend war das vielleicht ein Glück, denn so fiel es ihr leichter, die momentane Unordnung zu ertragen. Leichter als ihremMann. Alfred reckte sich unmittelbar vor ihr eine Steifheit aus dem Rücken und ging in den verwaschenen Lieblingshosen, die er nur noch im Urlaub trug, mit je einem großen Halbmond aus Schweiß in den Achseln den Schlauchgang hinunter. Seine Schritte machten doppelt so viel Lärm wie die der anderen Passagiere, so unglücklich war er.
    »Willst du keine Zeitung?« fragte Sally, als sie im Flugzeug waren.
    »Ich wüsste nicht, was mich interessieren könnte«, sagte er bitter.
    »Die Befreiung von Ingrid Betancourt zum Beispiel.«
    »Ich pfeif drauf«, gab er zur Antwort. »Um mein Interesse zu gewinnen, hätte man sie noch zwei oder drei Tage behalten müssen.«
    Sie nahmen ihre Plätze ein. Die Luft an Bord war trocken und kühl, trotzdem fühlten sich die kunstledernen Sitze, wenn man sie mit der Hand berührte, klebrig an. Sally saß am Fenster, draußen sah sie bunte Tanklastwagen fahren. Ein riesiger Airbus dockte am Nachbargate an und warf im Sonnenlicht seifenschmierig wabernde Abgase aus den Turbinen. Ein Passagier, der weiter vorne im Gang stand, schaltete sein Handy aus. Sally holte ihres aus
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