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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally
Autoren: Arno Geiger
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ihre Konkurrenten fünf von sieben Mal geschlagen und sich auch dank dieser kleinen Erfolge aufrechten Gangs zu den Ferien hingestöhnt. Nach langen Wochen hatte sie endlich wieder geahnt, was es heißt, im Herzen zu wissen, das Glück ist mit dir.
    Ihr erster Gedanke, nachdem der Anruf gekommen war, war deshalb auch, die Offen -Periode ist wieder vorbei. Sie dachte: Jetzt landen auch diese Ferien auf dem Friedhof.
     
    »Bei euch ist eingebrochen worden«, sagte Nadja, die Freundin, die sich bereit erklärt hatte, Sallys Schildkröten zu versorgen und die Blumen zu gießen. Nadja überbrachte die Nachricht in ihrer direkten Art, zu der Erik, ihr Mann, nicht fähig gewesen wäre; vermutlich war die Pflicht, anzurufen, deshalb auf sie gefallen.
    Und Sally: Als wäre sie mitten in der Bewegung verwandelt worden, eben noch ein Augenblick ohne Bedrückung, das vergangene Schuljahr und Wien und die Familie und Alfred schienen von ihr gewichen, plötzlich fegte ein Windzug heran, von dem sie Gänsehaut bekam.
    Verwirrt, auf der Basis der wenigen Details, die Nadja berichtet hatte, beschloss Sally, sofort nach Hause zu fahren. Die Ironie der Ereignisse war, dass Alfred sich zum ersten Mal in fünfzehn Jahren England-Ferien allein vonder Szene abgesetzt hatte, er war in der Früh nach Leeds gefahren, um ein Kricket-Match zu besuchen. Obwohl Sally die Nachricht mittags erhalten hatte und für das Kofferpacken nur wenige Minuten brauchte, musste sie am Bahnhof bis halb vier auf Alfreds Rückkehr warten. Es fehlte eine Richtung für die herausdrängende Energie, Sally saß fest, am liebsten wäre sie ohne Alfred abgefahren, nur um der peinigenden Tatenlosigkeit zu entkommen. Alles, was sie tun konnte, war, Nadja anzurufen und zu sagen, dass sie und Alfred die Rückreise schnellstmöglich in Angriff nehmen würden, Nadja solle im Haus bleiben, bis sie zurück seien. Dazu zwanghaft und selbstzerfleischend Fragen nach Dingen, die gestohlen oder kaputt gemacht sein könnten.
    »Sind die Fotoalben noch da?«
    »Wer soll sich für eure Fotoalben interessieren?«
    »Weiß ich, was das für Leute sind, die einbrechen gehen?«
    »In diesem Punkt kann ich dich absolut beruhigen.«
    Auf gepackten Koffern telefonierte Sally mit den Kindern. Gustav erreichte sie beim ersten Versuch, ihm musste gesagt werden, dass sein Computer und die Computerspiele, die er in den vergangenen Jahren von seinem eigenen Geld gekauft hatte, weg sind, nur der Anfang für ihn, zur Probe, zur Einstimmung. Den Mädchen redete sie aufs Band mit der Bitte um Rückruf, von Alice kein Zeichen, Emma hingegen meldete sich nach wenigen Minuten, manche Dinge ändern sich nie. Als heraus war, dass es nichts Gutes zu berichten gab und das Cello noch da war, aber zerschlagen, brach Emma in Tränen aus. Sally steuerteeinige Seufzer und Geräusche der Beruhigung bei, zuletzt sagte sie, das einzige, was zähle, sei die Familie und dass sie wunderbare Kinder seien. Sally meinte es so, wie sie es sagte, solche Zauberformeln beschützen trotzdem nur ungenügend vor den Attacken, die man erleidet, wenn Dinge verlorengehen, die man liebt.
    Dann stieg Alfred aus dem Zug. Er sah verträumt aus, mit einem stillen, bubenhaften Gesichtsausdruck, er schaute erst auf, nachdem Sally seinen Namen zum zweiten Mal gerufen hatte.
    Er stutzte, zögerte und kam ängstlich heran.
    »Bei uns ist eingebrochen worden«, sagte sie.
    Das Bubenhafte verstärkte sich im ersten Schreck. Und als sie bereits am Flughafen waren, kam Alfred auf diesen Moment zurück, mit einer Stimme, in der sich Niedergeschlagenheit und Verstörung mischten.
    »Ich werde immer wissen, wie es war, als ich dich auf den Koffern sitzen gesehen habe. Ich werde es immer wissen, auch ohne dass ich es mir aufschreibe.«
    Sie gingen vom Check-in durch die Passkontrolle und von dort Richtung Sicherheitsschleuse. Alfred hatte im Gesicht den Ausdruck von jemandem, der sich abmüht, die nächsten Minuten zu überstehen. Das harte Neonlicht unterstrich die Fahlheit seiner Haut, seine Haltung war gebeugt, als würde sein Körper vor Ungeduld schmerzen oder sich krümmen unter den Anfällen seiner blühenden Phantasie. Alle Augenblicke schaute er auf die Uhr, Alfredo, der Leider-nein-Futurist, er reckte den Kopf nach vorn, gleichzeitig gab er seinem Handgepäck Fußtritte und folgte so der schrittweisen Bewegung, mit der die Masse der Passagieregegen die Sicherheitsschleuse vorrückte. Als bei einem Hinweisschild, auf dem das Mitführen von
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