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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally
Autoren: Arno Geiger
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schreiben, das istnicht so leicht, wie es sich anhört, nur die wenigsten bringen es zustande, ich mag es, dass an deinen Sätzen Alltagsdreck klebt, deine Tagebücher sind etwas, das ich auch gerne besitzen würde, ich habe nur leider keine Zeit zum Schreiben, ich bräuchte einen Sekretär oder Chronisten, wie ihn früher Könige hatten, ich bin froh, dass wenigstens du die Stellung hältst, damit ein paar Geschichten von uns überleben, ja, das hat sie gesagt, mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, nicht wegen der Nachwelt, i woher, nur wegen Sally, denn ich habe keine Träume von einer Nachkommenschaft, die mich und meine Tagebücher genauestens studiert und sich ein Charakterbild von mir macht, als wäre ich der Samuel Pepys meiner Zeit, ich möchte nicht wissen, was dabei herauskäme, vielleicht würd
    sich die Einschätzung, zu der andere kommen, mit der von Sally decken, dass ich ein harmloses Fossil bin, ich tauge nicht einmal zum halben Pepys, aber was ich bin oder besser habe, das ist Pepys’ totaler Unwille zur Veränderung, obwohl ich weiß, dass auch Veränderung Glück bringen kann, es einmal linksherum zu probieren oder rechtsherum, das ist nicht mein Metier, das verbindet das ganze internationale Tagebuchwesen, denke ich mal, plus ein gewisses Interesse am fleischlichen Leben oder verfluchten Geschlechtstrieb , wie meine Mutter es genannt hat, natürlich gibt es Gemeinsamkeiten, Sally hat mir eine Hardcoverausgabe des Complete Pepys geschenkt, zu meinem zweiunddreißigsten Geburtstag, the publishing event of the year, wie die Werbeblasen von 1983 verkündet haben, und wenn sich auch nicht die Motten drüber hergemacht haben, die sind mit einem Paar wollener Socken zufrieden, die ich eigentlichfür die Zukunft hamstern wollte, der Complete Pepys ist noch immer ungelesen, das alte Reclamheft hingegen ganz zerfleddert, ich glaube, die Erklärung dafür ist die, dass ich im Reclamheft weiß, wo ich bestimmte Stellen finde, das demonstriert aber wohl, dass es obsessives Verhalten ist, ähnlich dem inneren Zwang, der mich manchmal nötigt, stundenlang nicht auf die Fugen zwischen Steinplatten zu treten, stundenlang, endlos, wie ein Kind, mit dem Gipsbein ist das natürlich nicht möglich, aber sonst bin ich immer dafür zu haben, das ist ein großes Thema, so groß, dass ich an diesem Punkt noch gar nicht eingedrungen bin, ich bringe so oft einen Gedanken nicht zu Ende, weil es so viele Möglichkeiten in meinem Kopf gibt, was als nächstes kommen kann, eins reiht sich ans andere, die Welt ist so vielfältig und krude, man kann nie genau wissen, welchen Effekt eine Variante hervorbringt, Sally sagt, Alfred, du schreibst und schreibst und redest und redest, eins stolpert über das andere, ich glaube, es ist, weil du ein Idealist bist, und das stimmt, ein wahres Wort, weil ich ein Idealist bin, und Sally ist ebenfalls eine Idealistin, auf ihre Weise, sie ist ihren Idealen treu, mit Sicherheit ist es schrecklich anstrengend, Sally Fink zu sein, ich würde keinesfalls tauschen wollen, selbst wenn ich über ihre Kraft verfügte, was die Sache natürlich leichter machen würde, ich frage mich, woher sie ihre Kraft nimmt, das ist des armen Hamlets Frage, ob seine Kräfte langen, ich frage mich das auch, aber Sally fragt sich das nie, wenn sie sich ärgert, sagt sie, Alfred, jetzt bin ich in der Stimmung zum Schlammcatchen, die tollsten Überraschungen, sie sagt, Alfred, im nächsten Urlaub fliegen wir nach Texas, dort findenwir bestimmt eine Bar, in der Schlammcatchen angeboten wird für jeden, der will, wenn es sein muss nackt, dann stemmt sie ihre Fäuste in die Seiten, als sei sie jetzt bereit, ihr eigenes Blut zu trinken, und stößt wüste Zurufe aus, als würden sie aus dem Publikum kommen, mach sie fertig, die Schlampe! hau sie in den Dreck, die hässliche Kuh! mit ihrer großen Klappe, und gleichzeitig so klug wie kaum jemand, andere Frauen, die ich kenne, haben vergleichsweise weniger zu sagen, und manchmal so anschmiegsam wie Spiderwoman im Netz über den Straßen New Yorks, wenn sie in meinem Arm liegt, eine Brust an meiner Brust, und mein Arm um ihre Taille, wenn sie ihre Nase in meine Schulter stupst, das ist meine Vorstellung von Glück, ja, das ist meine Sally, die jetzt nach Hause kommt, ich höre, der Wagen biegt in die Einfahrt, früher als angekündigt, sie scheint mich wirklich wieder zu mögen, allen Ernstes, sie scheint etwas gutmachen zu wollen, die hat vielleicht ein Glück, dass ich noch
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