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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman
Autoren: Jo Lendle
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es hinter dem Stapel Bohlen unruhig zu rumoren begonnen. Seine Geschwister waren dankbar, erlöst zu werden, einer nach dem anderen kroch hervor und freute sich mit ihm über seinen Schatz. Heinrich, ein älteres Waisenkind,
fand eine große Kienspanschachtel aus Holz, da hinein legte Alfred die Raupe sowie einige Brennnesselblätter und steckte die Schachtel dann in seine Hosentasche.

    Mit den Ameisen wurde es nicht besser. Von allen Seiten drangen sie in diesem Sommer in die Küche ein, selbst aus der Waschstube krochen sie das Heizungsrohr herauf. Beim Frühstück enterten sie den Brotkorb und die Schale mit den eingelegten Zwiebeln. Alfreds Schwester Tony hatte anfangs ein paar von ihnen auf ihren Finger gelockt und sie hinaus in den Hof getragen, aber wenn sie stolz zurückkam, waren es nicht weniger geworden. Der Vater schlug mit der flachen Hand nach ihnen, die Mutter wischte sie mit einem Lappen fort, die Kinder schnipsten sie über die glatte Fläche des Tisches einander zu. Einmal, als Alfred seiner Mutter beim Abräumen des Frühstücks half, zerschnitt er eine von ihnen heimlich mit dem Obstmesser an der dünnsten Stelle. Er hatte gehört, dass manchen Tieren neue Gliedmaßen wuchsen, so dass sie weiterleben konnten, aber Ameisen gehörten wohl nicht dazu.
    Die Mutter stopfte Tücher in die Ritzen, durch die sie eindrangen, und tränkte die Lappen mit Petroleum. Es änderte nichts. Heinrich suchte sich im Hof einen Stock und schlug lange und beharrlich auf die Ameisenstraße ein, bis er am Ende ganz verschwitzt und verängstigt zurück ins Haus kam, weil es immer mehr zu werden schienen. Tony nahm das Nudelholz von der Wand und rollte ruhig und gleichmäßig die Strecke vom Küchenschrank bis zur Hoftür ab, was wirkungsvoll war, aber entsetzlich aussah,
so dass die anderen ihr das verklebte Nudelholz aus der Hand nahmen. Im Stillen nahm Alfred sich vor, in diesem Advent auf die ausgerollten Plätzchen zu verzichten. Die Mutter kam mit einem Kessel kochendem Wasser und goss es vorsichtig über die Steine im Hof, den ganzen Weg bis hinüber zu den Beeten. Alfred beugte sich über das Pflaster und sah, wie die kleinen Körper der Ameisen durch die Ritzen der Steine geschwemmt wurden, sie zappelten nicht einmal mehr. Zweifellos ein wirkungsvolles Verfahren, aber man konnte ja nicht den ganzen Tag mit kochendem Wasser herumlaufen.
    Es war Alfred, dem die Idee mit der Falle kam. Erst hatte er an etwas Brennbares gedacht, aber das war nicht einmal nötig. Aus der Remise holte er den Topf, den Willi ihm an jenem Silvesterabend über den Kopf gezogen hatte. Er stellte das Gefäß in den Hof, ließ sich von der Mutter eine halbe Flasche Bier hineinschütten und streute so lange Puderzucker darauf, bis sich eine feste Insel bildete. Dann rief er die anderen, und gemeinsam standen sie um die Anordnung herum, es war das erste Experiment seines Lebens.
    Es dauerte nicht lange, bis eine Ameise die steile Wand der Kasserolle erklomm. Oben angekommen, sah sie sich um und lief einen Moment auf dem Rand hin und her, als hätte sie eben die Grenze zum Schlaraffenland erreicht. Dann hielt sie inne und kletterte wieder die Außenwand hinab, sie kreuzte ein wenig auf den Steinplatten, bevor sie zurückkehrte auf den Rand des Gefäßes, vielleicht hatte sie einfach die Vorfreude noch ein wenig verlängern wollen. Die Puderzuckerinsel war unterdessen auseinandergebrochen, gemächlich trieben die Stücke auf dem Bier.
Wenn sie mit anderen zusammenstießen, vereinigten sie sich zu größeren Gebilden, rissen an anderer Stelle wieder auseinander und immer so fort, in einem langsamen Tanz. Eine der Inseln trieb an den Rand und blieb dort haften, darauf landete die Ameise, als sie nun hinunterstürzte in ihr Glück. Die Innenseite des Gefäßes war emailliert, es gab keinen Weg zurück. Für diese nicht und auch nicht für all die anderen, die ihr bald folgten, manche stürzten sich gleich in die Fluten, manchen gelang es noch, auf ihre Gefährten zu klettern, mit denen zusammen sie kleine Flöße bildeten, die bald versanken. Andere konnten sich auf eine der Puderzuckerinseln retten und trieben mit ihnen herum, am Ende müssen es Hunderte gewesen sein, die kleinen Inseln waren schwarz von ihnen. Aufgeregt liefen sie von einer Küste zur anderen, aber Rettung war nicht in Sicht.
     
    Am letzten Tag der Sommerferien waren sie im Hof und spielten Kutsche, auf einmal warf Alfred die Reitgerte zur Seite und rannte ins Haus. Schon auf
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