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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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Männer nicht gehört, die töten um des Tötens willen. Dies sagte ich mir immer wieder, während ich auf dem Pfad den Hügel hinabstieg. Und ich brachte es sogar fertig, mich beinahe zu freuen, dass ich sie getötet hatte.»
    Das Gefühl dauert natürlich nicht an, und gleichzeitig wächst seine Verzweiflung über die vermutete Ansteckung mit Lepra, den sicheren Tod. All das verändert seine Wahrnehmungen. Er schwankt zwischen Angst, Hoffart, Lakonie,
Schuld, Hochmut, Leere und Apathie. Er geht zu seiner Zahnbehandlung und dann nicht zurück zu seiner Einheit, sondern schlittert in eine Serie seltsamer Situationen und Handlungen hinein, wird zusehends kränker, schwächer, seine überreizten Nerven spielen ihm immer wieder einen Streich. Er sieht und hört Dinge, hat Angst, verrückt zu werden, verhält sich seltsam, verkriecht sich in eine der letzten Hütten, die von einem zerstörten Dorf, Mariams Dorf, übriggeblieben ist. Er fürchtet, sterben zu müssen und nie wieder zu der Frau nach Italien zurückzukehren, die er liebt und deren Brief er in der Tasche mit sich führt. Er fühlt sich verfolgt und verfolgt selbst, stiehlt einem Major, der ihn im Lastwagen ein Stück mitnimmt, Geld für die Überfahrt nach Italien und bringt ihn, als er entdeckt wird, fast um. Er lebt in einer Art Hassgemeinschaft mit einem alten Mann, Johannes, der sich als Mariams Vater herausstellt und der letztlich seine vermeintliche Krankheit heilen kann: Es war nicht Lepra, Mariam war gesund. Johannes heilt durch seine Art der stillen Vergebung indirekt auch die Seele, und schließlich kann der Leutnant zu seiner Truppe zurückkehren und endlich einem Kameraden alles erzählen, wie auf der Suche nach Absolution. Er erfährt, dass das Massaker in Mariams Dorf als Vergeltungsmaßnahme erst durch seinen Pistolenschuss
ausgelöst wurde, und das Ganze wirkt plötzlich grausam zufällig wie ein Würfelspiel. Was ist da noch Ursache, was Wirkung, wo ist Schuld, wo einfach nur Kettenreaktion der Ereignisse? Als veränderter Mensch kann der Leutnant den für ihn unbegreiflichen Kontinent Afrika verlassen. Er hat die Dialektik von Schuld und Sühne gründlich erfahren.
    «Afrika», heißt es einmal,«ist die Rumpelkammer für Schweinereien», und an anderer Stelle:«Es ist zu traurig, dieses Land. Zu traurig. In einem Land, in dem die Hyäne geboren wird, muss irgendetwas faul sein.»Aber es ist eben auch ein Land, in dem«ein uralter Friede… wie am ersten Schöpfungstag»zu herrschen scheint, ein lockendes, verwirrendes, heißes Land, das das Unterbewusste berührt, und als Mariam den Leutnant zum ersten Mal ansieht, denkt er:«Ich suchte die Weisheit in den Büchern, aber sie besaß sie in den Augen, die mich seit zweitausend Jahren ansahen wie das Licht der Sterne, das so lange Zeit braucht, um von uns wahrgenommen zu werden.»
    Es ist ein magisches Buch über den Krieg, das Töten und was das aus Menschen macht. In Flaianos Nächtlichem Tagebuch lesen wir folgenden sarkastischen Eintrag:«Als ich jung war, wurde ich eines Tages einberufen, um meinen Militärdienst zu leisten, aber ich verweigerte ihn aus Gewissensgründen.
Man sagte mir, es handele sich nicht darum, in den Krieg zu gehen, sondern nur darum, zwei Jahre lang täglich einige einfache militärische Übungen auszuführen, die meinen Körper stärken und meinen Charakter bilden würden. ‹Meine Herren›, erwiderte ich, ‹die Funktion entwickelt das Organ. Ich werde Ihrem Aufruf Folge leisten, doch nach zwei Jahren einfacher militärischer Übungen müssen Sie mir gestatten, einen Menschen zu töten, eine Alte zu erstechen, ein Mädchen zu schänden, eine Bibliothek in Brand zu stecken und eine Kirche auszurauben.›»

    Tempo di uccidere ist kein klassischer Antikriegsroman, weil er nicht von Kriegshandlungen erzählt. Er konzentriert sich eher auf die innere Entwicklung eines Mannes, den der Krieg verändert. Der Leutnant gerät in diesem fremden Land in eine Art kriminellen Strudel, der ihn mitreißt und ihn zwingt, sich erstmals mit Werten wie Liebe, Schuld, Vergebung, Mitleid, Moral auseinanderzusetzen. Anfangs, als er noch denkt, dass er elend an Lepra wird sterben müssen, will er sich umbringen. Aber dann wird sein Wunsch, auf jeden Fall zu leben, übermächtig.
    Später, als er schon fürchtet, wahnsinnig zu werden in seiner Einsamkeit, spricht er zu einem Maultier, das ihm zugelaufen ist, und erklärt ihm
den Wert des Lebens. Und er begreift nach und nach, dass er in
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