Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
Vom Netzwerk:
Flugzeug). Und auch die Frau konnte sich nicht rühren, obschon ich weiß, dass sie unter dem Turban den Kopf bewegt, wenn ich ziele. Keiner konnte sich aus diesem Tal fortbewegen, außer mir. Aber meine Geschichte fing gerade erst an, und der Major hatte die Anzeige aufgeschoben, nur aufgeschoben. Warum war er vorbeigefahren und hatte nicht telefoniert? Einen Augenblick lang, damals, als wir in der Kabine des Lastwagens saßen, legte er mir die Hand auf die Schulter, und ich fühlte eine müde Hand, eine Hand, die dem euphorischen Ausdruck seines Gesichtes und seiner zweiten Jugend widersprach.

    Der Leutnant beharrte darauf:«Wir können sofort nachprüfen, ob die Schraube an ihrem Platz ist. Willst du?»
    Ich gab keine Antwort. Warum antworten? Er machte daraus eine Frage für einen Mechaniker. In eine Schlucht hinuntersteigen, vielleicht in dieselbe, die sich hier unter uns auftat, ein Wrack untersuchen, jeden Zweifel beseitigen? Zweifel ermutigen; besser, man behält sie. Und außerdem zog ich es vor, das Tal zu betrachten. Johannes war wohl schon aufgestanden, vielleicht ging er gerade zum Fluss, und das Maultier folgte ihm.
    Als der Leutnant dem Talrand entlang davonging, in der Schlucht herumspähte und schließlich die Schraubenmutter hinwarf und ich jenes harte Geräusch von aufschlagendem Metall hörte (oder vielleicht waren es die Silbermünzen, die ich in der Tasche trug), empfand ich nichts. Die Schraubenmutter war an ihrem Platz. Keiner gewinnt, es ist eine Schraubenmutter wie ein Würfel ohne Punkte, die jetzt am richtigen Platz ist.
    Ich schaute also ins Tal, als zum Appell geblasen wurde; diesmal beschleunigte der Trompeter das Tempo. Man musste gehen und die Betrachtungen auf morgen verschieben, Abschied nehmen von denen, die blieben. Vielleicht waren die Soldaten schon bereit, ich musste den Zug inspizieren und Kaffee trinken; doch vor allem musste
ich dieses Grab verlassen, das mir nun allzu vertraut war. Ich trat auf den Leutnant zu und sagte ihm:«Wir müssen gehen.»Dann fügte ich hinzu:«Es scheint mir unnütz, von Verbrechen zu reden, zumal ja niemand mich sucht.»
    «Ja», erwiderte er,«wirklich unnütz.»
    «Wenn niemand mich sucht», beharrte ich,«können wir gehen.»
    «In aller Ruhe», erwiderte er.«Die anderen sind zu sehr mit ihren eigenen Verbrechen beschäftigt, um die unseren zu bemerken.»
    «Besser so», sagte ich.«Wenn niemand mich angezeigt hat, besser so. Allerdings hat man kein Recht, so großzügig zu sein.»
    «Man muss es hinnehmen - oder bleibenlassen», schloss der Leutnant.
    Die Trompete wiederholte rasch das Signal. Es schien, als wiederhole sie es für uns; die anderen waren wohl alle schon zur Stelle, man hörte nicht das geringste Stimmengewirr.«Es ist eine ziemlich komische Trompete für mein ‹Gericht›», sagte ich,«doch jedem seine Trompete.»Ich sagte es zum Tal gewandt, das mir in diesen Augenblicken wahrhaft einzigartig und unsterblich erschien.
    «Mach dir keine Illusionen», sagte der Leutnant.«Es gibt keine anderen Trompeten. Die einzigen, die du hören wirst, sind diese; aber nur
noch wenige Tage, dann blasen sie uns zum Abschied. »
    «Und doch», sagte ich,«dieses Tal…»Aber ich sprach nicht weiter. (Unnütz, einen Autor zu zitieren, wenn wir eine Seite seines Buches als Zigarettenpapier verwendet haben. Nicht wahr, Johannes?)
    Ich sprach nicht weiter, und wir machten uns auf den Weg zum Lager, denn die Lastwagen kamen gerade an. Ich ging neben dem Leutnant, und auf einmal roch ich sein Parfum. Gewiss fettete er sich die Haare mit irgendeiner kostbaren Pomade ein. Eine Pomade mit einem zarten, kindlichen Duft, der jedoch von der Hitze säuerlich wurde. Eine abscheuliche Pomade; die Hitze dieses Tals machte sie widerlich süß, faulig wie von lange verwesten Blumen, ein giftiger Hauch. Ich beschleunigte meinen Schritt, doch die Spur jenes Gestanks zog vor mir her.

ANMERKUNGEN
    1 Bis zum Ende der Monarchie 1974 wurde Äthiopien auch Abessinien genannt. Heute bezeichnet man nur noch das Hochland von Abessinien mit diesem Namen, das sich über den Westen und Norden Äthiopiens und den Norden Eritreas erstreckt.
    2 Stadt in Äthiopien, im Hochland von Abessinien. Im 16. Jh. hatten portug. Truppen die christlichen äthiop. Könige im Kampf gegen Eroberungsversuche muslimischer Stämme unterstützt. Portugal verfolgte in Äthiopien neben den militärischen auch Handelsinteressen; Äthiopien wurde jedoch nie portug. Kolonie.
    3 Etwa 2300 m über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher