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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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    Das Buch ist ein Meisterwerk der Stille, der Nachdenklichkeit, der Langsamkeit. So witzig pointiert Flaiano über die römische Gesellschaft schreiben konnte, so sehr wird dieses Buch von einem tief melancholischen Grundton durchzogen. Es ist ein dunkles Buch, trotz gewisser Grausamkeiten aber auch ein sanftes Buch, ein Buch über einen Menschen, der an seine Grenzen gelangt ist und erstaunt innehält und denkt: War das, bin das noch ich? Und solange er das nicht weiß, kann er keine innere Ruhe finden und auch nicht aus Afrika nach Italien, nach Hause zurückkehren.

    Der Erzähler ist ein Oberleutnant, der Zahnschmerzen hat und sich deshalb für vier Tage von seiner Einheit im Hochland von Abessinien entfernen und einen Zahnarzt aufsuchen darf. Zunächst reist er per Lastwagen mit einem Soldaten. Aber der Lastwagen kippt um, die beiden trennen sich, und der Leutnant schlägt sich allein durch einen dschungelartigen Wald, durchweht vom
Verwesungsgeruch toter Tiere und Menschen, will eine Abkürzung nehmen, verläuft sich und weiß schließlich nicht weiter. Von Anbeginn an ist er unentschlossen, was er eigentlich will: Umkehren? Weitergehen? Den richtigen Weg suchen? Hilfe erbitten oder es allein schaffen? Uns scheint, ein verwirrter, unsicherer Mann ist da unterwegs. Die Landschaft um ihn herum beeindruckt ihn:«Ein uralter Friede an diesem Ort. Alles so zurückgelassen wie am ersten Schöpfungstag, wie am Tag der großen Einweihung.»
    Der Friede trügt, am Wegrand liegen Leichen, selbst hier im dichten Wald hat der Krieg Spuren hinterlassen, und er, der Herumirrende, ist ein Abgesandter dieses Krieges, ein Eindringling in diesem Land.
    Als er die schöne Äthiopierin sieht, die sich an einem Wasserloch wäscht, um das Haar ein weißes Handtuch wie einen Turban gebunden, schaut er ihr zu und schläft schließlich mit ihr. Vergewaltigt er sie? Das ist nicht so ganz eindeutig, denn der Erzähler spart viel aus, lässt uns aber seine Gedanken lesen:«Sie musste ihren Teil am Krieg bezahlen, den ihre Männer verloren.»Wir erfahren, wie es im Leutnant aussieht, und nicht, ob sich das Mädchen Mariam aus Angst, Fügsamkeit oder Lust hingibt - wir erfahren nur, dass sie ihn am Anfang mit ihren Händen beschwörend
abwehrt, woraus später seine Angst resultiert, er könnte sich bei ihr mit Lepra angesteckt haben. Trug sie nicht auch einen weißen Turban, das Zeichen der Aussätzigen und also Unberührbaren der Gegend? Jedenfalls bleiben beide die Nacht über beisammen, es ist ein gegenseitiges Halten, Wollen und doch Wegschieben, sie verlässt ihn, kehrt zurück, er will sich von ihr aus diesem Wald herausführen lassen. Doch vorher kommt es zu dem Zwischenfall, der alles Weitere auslöst: Als der Leutnant die schlafende Frau betrachtet, sieht er plötzlich ganz in der Nähe einen Schatten, greift zur Pistole und schießt. Mit seinem panischen Schuss trifft er versehentlich die aufschreckende Frau und verletzt sie so schwer, dass er nach langem, taten- und ratlosen Hin-und-her-Wandern einen zweiten, erlösenden Schuss auf sie abgeben muss. Mariam stirbt. Er begräbt sie sorgfältig, ruhig und ohne Reue.
    Das ist, wenn man so will, an äußerer Handlung auch schon fast alles, und wir sind dabei noch ganz am Anfang des Buches. Denn alles Weitere ist eine Kettenreaktion an Folgen, die sich vor allem im Inneren des Leutnants abspielen: Ratlosigkeit, Angst, Buße. Er ist erschrocken über sich selbst, wird schwermütig, leidet unter«unnützen Erinnerungen», kehrt zwanghaft immer wieder an den Ort des Geschehens zurück,«enttäuscht, dass der
Schauplatz meiner Schuld so erbärmlich war». Er fühlt sich elend, schwach, fiebrig, und dann entdeckt er im Umfeld einer nicht heilenden Wunde an seiner Hand seltsame Beulen und Verfärbungen und ist nun sicher, sich bei Mariam mit Lepra angesteckt zu haben. Zunächst bleibt er relativ gelassen, doch sein Gleichmut schwindet, als er sich sein weiteres Schicksal mit einer solchen Infektion ausmalt. Seine Tat treibt den Mann nun umher, ruhelos, auf der Flucht vor sich selbst, vor seiner Einheit, vor Konsequenzen. Mal fühlt er sich schuldig, dann wieder redet er sich ein,«man hätte die Frau sowieso umgebracht», und:«Ich hatte ihr grausames Schicksal um wenige Tage vorweggenommen und ihr ein viel schmerzlicheres Ende erspart. Sie hatte nicht mit angesehen, wie die Ihren getötet wurden, und auch nicht, wie man ihre Hütten in Brand steckte, und sie hatte auch die Rufe der
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