Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
ab, und sie fuhren direkt zum Schrottplatz.
    Trugen beide ein weißes Hemd und ein helles Sakko.
     
    Als sie ankamen, waren zwei kräftige Typen schon dabei, das Grab zu öffnen.
    Die Hände auf dem Rücken, und ohne auch nur ein einziges Wort von sich zu geben, sahen sie zu, wie der Sarg an die Oberfläche gehievt wurde. Alexis weinte, Charles nicht. Dachte an das, was er gestern Abend in seinem Wörterbuch nachgeschlagen hatte:
    Exhumieren, v/tr aus der Vergessenheit holen, in Erinnerung rufen .
     
    Die Schlipsträger vom Beerdigungsinstitut übernahmen das weitere Procedere. Sie trugen sie zum Wagen und schlossen hinter den Dreien die Doppeltür.
    Sie saßen einander gegenüber, durch einen eigenartigen Couchtisch aus Tannenholz voneinander getrennt.
    »Hätte ich das gewusst, hätte ich einen Satz Karten mitgenommen«, scherzte Alexis.
    »Hilfe, nein. Sie wäre noch imstande zu schummeln!«
     
    Bei jeder Bodenwelle und in jeder Kurve legten sie instinktiv die Hände auf sie, die fest verschnürt, hyperfest verschnürt war, damit sie nicht rutschte. Und wo ihre Hände schon mal da lagen, ließen sie sie lange liegen und gaben vor, dem Muster der Astlöcher zu folgen, um sie heimlich zu liebkosen.
     
    Sie unterhielten sich kaum, und wenn, dann über ziemlich belanglose Themen. Ihre Jobs, ihre Rückenprobleme, ihre Zahnbeschwerden, den Preisunterschied zwischen einer Zahnbrücke in der Stadt und einer Zahnbrücke auf dem Land, über das Auto, das Charles sich kaufen wollte, die besten Gebrauchtwagenhändler, das Parkabo am Bahnhof, den Riss in seinem Treppenhaus. Was der Gutachter dazu gesagt hatte und über den Musterbrief, den Charles ihm für die Versicherung zur Verfügung stellen wollte.
    Offensichtlich hatten beide keine Lust mehr, etwas anderes als den Körper der Frau, die sie so sehr geliebt hatten, aus der Vergessenheit zu holen.
    Irgendwann, und natürlich musste er es in die Hand nehmen, weil immer er es war, der das Licht dimmte und für die Stimmung sorgte, riefen sie sich dann doch Nounou in Erinnerung.
    Nein. Nicht in Erinnerung. Sie riefen ihn in die Gegenwart. Seine Vitalität, das Temperament dieses kleinen, über und über mit Klunkern behangenen Kerls, der sie bei Schulschluss mit einem Schokocroissant abholte.
    »Nounou. Wir haben die Schnauze voll von Schokocroissants. Kannst du uns nicht mal was anderes mitbringen?«
    »Und was ist mit dem Mythos, Herzchen?«, antwortete er und wischte ihre Kragen sauber. »Wenn ich euch was anderes mitbringe, werdet ihr mich vergessen, während so ... Ihr werdet sehen, ich hinterlasse euch Krümel für euer ganzes Leben!«
    Das sahen sie.
     
    »Wir sollten ihn mal mit den Kindern besuchen«, sagte Alexis fröhlich.
    »Pff«, seufzte Charles und zog das »pff« übermäßig in die Länge (er war ein schlechter Schauspieler), »weißt du denn, wo er liegt?«
    »Nein. Aber wir könnten fragen –«»Wen denn?«, entgegnete er resigniert. »Den Freundeskreis der Tunten a. D.?«
    »Wie hieß er noch mal?«
    »Gigi Rubirosa.«
    »Scheiße, das stimmt. Und das weißt du heute noch?«
    »Eigentlich nicht. Ich habe seit deinem Brief nach dem Namen gesucht, und grad im Moment ist er mir eingefallen.«
    »Und der andere. Sein richtiger Name?«
    »Den habe ich nie gewusst.«
    »Gigi«, flüsterte Alexis verträumt, »Gigi Rubirosa.«
    »Ja, Gigi Rubirosa, der dicke Kumpel von Orlanda Marshall und Jackie Tunta –«
    »Wie kommt’s, dass du das alles noch weißt?«
    »Ich vergesse nichts. Leider.«
    Stille.
    »Na ja. Nichts, was es wert ist, in Erinnerung behalten zu werden.«
    Stille.
    »Charles«, sagte der Exjunkie leise.
    »Sei still.«
    »Es muss aber irgendwann mal raus.«
    »Okay, aber ein andermal, ja? Immer hübsch der Reihe nach. Stimmt doch«, er gab vor, sich aufzuregen, »ihr seid echte Nervbolzen, ihr Le Mens mit euren Psychodramen! Das geht jetzt schon seit vierzig Jahren so. Und was ist mit dem Seelenfrieden der Lebenden??!«
     
    Er nahm seine Aktentasche hoch. Zögerte eine halbe Sekunde und stellte sie dann vor ihm ab, holte seine Unterlagen heraus und bewies Anouk, indem er sich auf ihr abstützte, dass Schön, schön war die Zeit etc.
    Nounou hätte dieses Lied geliebt.
    Und die Gebrauchsanweisungen, siehst du, die finden sich zuhauf. Erinnerungen und Sehnsüchte auch. Und das Leben trennt die, die sich lieben, ganz sanft, ohne einen Laut.
    Cora Vaucaire war was anderes. Die hatte er gut gekannt. »Was trällerst du da?«
    »Nix, nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher