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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie
Autoren: Carl Hanser Verlag
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dass Charles in Richtung Leichenwagen ging, rief er ihm hinterher: »Wo willst du hin?«
    »Ich fahre mit den anderen zurück.«
    »Aber ... Und ...«
    Charles hatte nicht die Kraft, sich den Satz zu Ende anzuhören. Er hatte morgen um sieben eine Baustellenbegehung, und die Nacht war nicht lang genug, um sich angemessen vorzubereiten.
     
    Er machte es sich neben den beiden Aasgeiern bequem, und während das rot durchgestrichene Schild Les Marzeray rechts verschwand, empfand er den einzigen Kummer dieses Tages.
    Ihr so nahe gekommen zu sein und sie nicht geküsst zu haben, das war – sträflich.
     
    Zum Glück erwiesen sich seine Reisekameraden als wahre Stimmungskanonen.
    Sie legten zunächst ihre Trauergesichter ab, lockerten die Krawatten, warfen die Sakkos von sich und ließen sich regelrecht gehen. Erzählten ihrem Mitfahrer Witze, einer zwielichtiger und unanständiger als der andere.
    Von furzenden Toten, klingelnden Handys, versteckten Liebhaberinnen, die mit dem Weihwasserwedel ans Tageslicht kamen, vom letzten Willen verstorbener Spaßvögel, die (sic) sie »wahrlich umgebracht« hatten, von Reaktionen verrückt spielender Lebender, die einem jede Menge Anekdoten für die Rente lieferten, und alles, was man sich an Sterbenskomischem noch denken konnte.
    Kaum war die Quelle der Anekdoten versiegt, wurde sie von der Radiosendung Fragestunde mit Stars abgelöst.
    Kräftig. Heftig. Deftig.
     
    Charles, der eine Zigarette geschnorrt hatte, nutzte den Moment, als er die Kippe aus dem Fenster warf, um sich von seinem Trauerflor zu befreien.
    Grinste, bat Jean-Claude, das Radio lauter zu stellen, ließ die Trauer hinter sich und konzentrierte sich auf die nächste Frage von Frau Holz.
    Von der Hütten.

16
    Die Szene spielt Mitte September. Das Wochenende zuvor hatte er zwei Kilo Brombeeren gepflückt, vierundzwanzig Schulbücher eingeschlagen (vierundzwanzig!) und Kate geholfen, die Hufe der Ziege zu glätten. Claire war mitgekommen und hatte Dads Platz vor den Kupfertöpfen eingenommen und stundenlang mit Yacine geschwätzt.
    Am Vortag hatte sie sich bis über beide Ohren in den Schmied verliebt und das dringende Bedürfnis verspürt, umzuschulen und Lady Chatterley zu ihrem Beruf zu machen.
    »Habt ihr diesen Oberkörper unter der Lederschürze gesehen?«, schmachtete sie bis zum Abend. »Kate? Hast du ihn gesehen?
    »Vergiss es. Er hat nur seinen Hammer im Kopf.«
    »Woher weißt du das? Hast du’s getestet?«
    Sie wartete, bis Claires Bruder im Zimmer nebenan war, um ihr mit einer Geste zu verstehen zu geben, dass sie einmal den Amboss gegeben habe.
    »Trotzdem«, seufzte die Paragraphenreiterin, »dieser Oberkörper.«
     
    Ein paar Stunden später und auf glücklichen Kopfkissen fragte Kate, ob Charles auch noch den Winter durchhalte.
    »Ich verstehe die Frage nicht.«
    »Dann vergiss sie«, murmelte sie, drehte sich um und gab ihm seinen Arm zurück, um sich auf den Bauch legen zu können.
    »Kate?«
    »Ja?«
    »Die Formulierung ist zweideutig.«
    »...«
    »Wovor fürchtest du dich, Liebes? Vor mir? Der Kälte? Dem Wetter?«
    »Vor allem.«
     
    Als einzige Antwort streichelte er sie lange.
    Ihre Haare, den Rücken, den bottom .
    Kämpfte nicht mehr mit Worten.
    Hatte nichts zu sagen.
    Sie nur noch einmal zum Stöhnen zu bringen.
    Und zum Einschlafen.
     
    Er war zurück in seinem Büro und versuchte, die graphische Darstellung der Ergebnisse einer Analyse von Bögen zu verstehen, welche ungleichen Belastungen ausgesetzt si–
    »Was ist denn das für ein Mist?« Philippe tauchte aus der Versenkung auf und hielt ihm ein Bündel Papier hin.
    »Keine Ahnung«, antwortete er, ohne seinen Bildschirm aus den Augen zu lassen, »aber du wirst es mir gleich sagen ...«
    »Die Eingangsbestätigung einer Bewerbung für eine Ausschreibung zur Planung eines beschissenen Festsaals in Hintertupfmichnicht!«
    »Von wegen beschissen, mein Festsaal, toll wird der«, antwortete er ganz ruhig und beugte sich über seine Graphiktafel.
    »Charles. Was soll der Quatsch ? Ich erfahre plötzlich, dass du letzte Woche in Dänemark warst, dass du vielleicht wieder für den alten Siza arbeiten wirst und jetzt ...«
    Die Tontaubenzielscheibe ließ den Bildschirm gefrieren, rollte zurück und griff nach ihrer Jacke.
    »Hast du Zeit für einen Kaffee?«
    »Nein.«
    »Dann nimm sie dir.«
    Und weil der andere Richtung Küche ging, fügte er hinzu: »Nein, nicht hier. Gehen wir raus. Ich muss dir wirklich einiges sagen.«
    »Worum
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