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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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versteckt hat. Auch wenn garantiert mit diesen Karten etwas nicht stimmt, bezahlen wir den vollen Preis. Dafür scheinen sie uns zu berechtigen, vor den anderen Jeeps zum höchsten Berg der Welt zu fahren. Von der 318 biegen wir auf eine Schotterpiste ein, die gerade mal so breit ist wie der Jeep. Die reguläre Piste können wir nicht benutzen. Sie wird gerade ausgebaut, damit im nächsten Jahr ein Läufer die olympische Flamme bequemer auf den Everest tragen kann. Auch die Straße selbst wird dann als höchste asphaltierte Straße der Welt einen Eintrag ins Guinness-Buch bekommen.
    Immerhin steht auch an der provisorischen Strecke ein Schild, das zum Base Camp weist. Bevor es aber weitergeht, hat Pemba noch etwas zu erledigen. Er klettert in den Kofferraum, wo wir ihn unter unserem Gepäck verstecken müssen. Pemba hat keine Eintrittskarte für den Nationalpark, und offensichtlich zahlt ihm König Dorje nicht so viel, dass er sich eine leisten könnte. Überhaupt scheint Verschwinden die Spezialität dieses Führers zu sein, denn schon in Shigatse und dann in Sakya ließ er sich nie blicken, geschweige denn, dass er uns durch die Klöster geführt oder irgendwas erklärt hätte. Der Unterschied zwischen tibetischen und chinesischen Guides scheint doch nicht so groß zu sein wie allgemein angenommen.
    Aber ein Führer ist im Moment sowieso nicht gefragt. Zur Landschaft, durch die wir fahren, muss niemand etwas sagen. Sie besteht aus endlosen Stein-und Geröllflächen, die sich immer weiter auftürmen und an nichts Bekanntes mehr erinnern, allenfalls an Bilder, die Sonden von fremden Planeten aufgenommen haben. Nur vereinzelte Grasbüschel, die schneebedeckten Gipfel in der Ferne und die sich über uns zusammenziehenden grauschwarzen Gewitterwolken weisen darauf hin, dass wir uns nicht auf dem Mars oder dem Jupiter befinden, sondern immer noch irgendwo auf der Erde.

    Wir passieren zwei kleine Dörfer an der Strecke, in denen der Jeep an Schlagbäumen kontrolliert wird und uns tibetische Kinder kreischend um Geld anbetteln. Dann fahren wir höher und höher, überholen zwei mit geplatzten Reifen liegengebliebene Jeeps und erreichen schließlich eine mit Schotter bedeckte Hochebene. Jetzt müssen wir wieder ungefähr auf fünftausend Metern sein; das schließe ich aus dem Grad meiner Atembeschwerden und der Watte im Gehirn. Dorje hält, und Pemba kriecht aus dem Kofferraum. Sebastian und Christian wollen den Halt nutzen, um einen Hundertmeterlauf zu versuchen. Auch Jean ist sofort dabei. Selbstmörder, denke ich, auch weil ich mittlerweile weiß, dass er mit seinen vierundfünfzig Jahren noch ein bisschen älter ist als ich.
    Ich bin schon zufrieden, dass ich in der Lage bin, das Startsignal zu geben. Die drei rennen sofort los, doch Jean hält nur die ersten zwanzig Meter mit und bleibt dann stehen, japsend und erledigt. Die beiden Jüngeren schaffen die ganze Strecke. Sie keuchen aber auch eine halbe Stunde später noch aus tiefster Kehle, als wir das Rongphu-Kloster erreichen. Das liegt auf viertausendneunhundertachtzig Metern und ist damit nicht nur das am höchsten gelegene Kloster Tibets, sondern auch – auf dem höchsten Berg summieren sich einfach die Rekorde – das am höchsten gelegene in der ganzen Welt. Auch wird man wohl weltweit so schnell kein Hotel finden, das höher liegt als das Rongphu Monastery Hotel, das dem Kloster genau gegenüberliegt. Hier sollen wir die nächsten zwei Tage unterkommen, rund acht Kilometer vom eigentlichen Base Camp entfernt.
    Die Bezeichnung Hotel für das graue, einstöckige, um einen Schotterhof angelegte Ensemble trifft es allerdings nicht ganz. Gulagbaracke in sibirischer Bleimine wäre die angemessenere Bezeichnung. Etliche Fensterscheiben der Vierbettzellen sind zerbrochen und durch Pappe ersetzt. Auf den Eisenbetten liegen dicke, grobe Wolldecken, und es gibt weder elektrisches Licht noch Duschen, noch fließend Wasser. Das Klo ist eine besondere Attraktion. Es liegt hinter den Baracken. Ein einen Meter tief ausgehobenes Loch, das notdürftig mit Plastikplanen umzäunt ist. Auf einer Planke hockend, kann man hier unter sich menschliche Ausscheidungen unterschiedlichster Konsistenz in allen Farben des Regenbogens betrachten. Ich bin wieder mal begeistert. Ich hatte mich schon immer gefragt, wie es wohl «im Lager» wäre, in das vor Jahren die ältere deutsche Generation uns Maoisten immer schicken wollte. Noch trostloser als das Barackenensemble ist nur die graue,
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