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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Anne LaBastille
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gelassen, umgestülpt für den Winter. Wenn meines ein Leck bekam oder wenn der Propeller ein Blatt verlor, wurde die Lage brenzlig. Ich setzte darauf, daß das Aluminium stark genug war, um dem Krachen und Knirschen standzuhalten.
    Keine Fahrt schien mir je so qualvoll, so lang, so einsam wie dieses verzweifelte Sich-nach-Hause-Kämpfen im Eis am Thanksgiving-Abend. Als ich endlich die Bucht erreichte und den Motor abstellte, legte sich die Stille wie ein Segen über mich. Dann wieder: leises Knistern. Über das Heck blickend sah ich mit Schaudern, daß sich direkt hinter mir der Kanal schon wieder lautlos geschlossen hatte. Ein preiselbeerroter Sonnenuntergang warf ein unheimliches Schimmern über den See. Ich beobachtete, wie sich eisige Splitter und Pfeile, Finger und Brücken auf der Wasseroberfläche bildeten, zusammenwuchsen und erstarrten. Das Eis verbreitete und verhärtete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit. Zum erstenmal wurde mir so richtig die äußerste Präzision und Grausamkeit der Kälte bewußt. Ich wurde Zeuge des endgültigen Zufrierens in seiner ganzen furchtbaren, unerbittlichen Urkraft. Diese Erscheinung werde ich nie vergessen, auch nicht, wie schutzlos eine warmblütige Kreatur seinem Würgegriff ausgeliefert sein kann.
    Durch die herabsinkende Finsternis tastete ich mich vom Landesteg hinauf zu meiner Hütte. Als ich die Tür öffnete, grüßten und umfingen mich die vertrauten vier Wände, die Wände mit ihrer heimeligen Holzborke, behängen mit Fellen und Hirschgeweihen. In dieser einsamen Hütte war mein Lebensstil — einst hektisch, herdentierartig — ein ganz anderer geworden. Wie hatte das angefangen? Wie war ich hierher gekommen? Ich ließ meine Gedanken zurückschweifen zu den Ereignissen, die mich hierhergeführt hatten, in dieses Zuhause aus Baumstämmen, zu diesem jetzt eis- und winterstarren See in den Nordwäldern.
    Angefangen hatte es, als ich durch die sich abzeichnende Scheidung meiner Ehe heimatlos wurde. An Angehörige konnte ich mich nicht wenden: Meine Verwandtschaft war entweder schon gestorben oder lebte weit verstreut. Mehrere Sommer hatte ich mit Morgan, meinem Mann, ein kleines Ferienhotel in den Adirondacks geführt. Im Winter gingen wir mit ausgewählten Gruppen von Tierliebhabern nach Florida und weiter südlich auf Tier-Safari. Wir hackten Holz, wuschen Teller, planten Menüs, gaben Reit-, Wasserski- und Tauchunterricht; tapezierten Hotelzimmer; bestimmten Tropenvögel und Indianerruinen; machten uns insgesamt viel Mühe damit, unsere Gäste zufriedenzustellen. Ein buntes Leben, bewegt, voller Menschen und Probleme.
    In unserer Ehe gab’s wenig Raum für Privates, aber viel Arbeit. Diese Kombination wird es wohl gewesen sein, die unsere Liebe allmählich erlöschen ließ. Inzwischen waren auch bestimmte andere Veränderungen eingetreten, und mit dem Frühling kam das Ende unserer Ehe.
    »Bis zum 4. Juli mußt du ausziehen«, eröffnete mir Morgan eines Tages mit ernster Miene. »Unter dieser Belastung kann ich das Hotel nicht aufmachen und betreiben. Du mußt irgendeinen Ort finden, wo du hinkannst.«
    Dieses Ultimatum bewirkte eine dramatische Wende in meinem Leben. Seit meiner Kindheit, die ich nahe von New York City verbracht hatte, war es mein Wunsch gewesen, einmal in einer Blockhütte im Wald zu leben, selbstgenügsam in der Art von Thoreau. Auf der Schule hatte ich vom Lagern und Wandern in Waldbergen und an klaren Seen geträumt. Auf dem College, wo ich im Hauptfach Tierschutz studierte, war es mein Berufsziel gewesen, Wildtiere zu beobachten und zu erforschen. Und während meiner Ehe mit Morgan hatte ich mich immer nach einem ruhigen Refugium gesehnt, wo ich schreiben und mich entspannen konnte.
    Intuitiv traf ich nun meine Entscheidung. In der Wildnis der Adirondacks wollte ich mir ein Blockhaus bauen. Ich hoffte, daß ein Rückzug in den Frieden der Natur meine Verzweiflung vielleicht würde stillen können. Die Gemeinschaft mit den Wildtieren und menschlichen Bewohnern dieser einsamen Region sollte meinen Kummer kurieren. Und vor allem hoffte ich, mit dem Bau einer Holzhütte meiner Heimatlosigkeit ein Ende zu machen.
    Die Zeit war knapp. Kaum zwei Monate blieben mir, um Land zu finden, die Hütte zu erstellen und umzuziehen. Ich fing an, mir im Umkreis von vierzig Kilometern um Lake Serene — so will ich das Dorf nennen, das bei Morgans Hotel lag — Grundstücke und Camps (Sommerhäuser) anzusehen. Dutzende von Gebäuden, Hektaren von Land
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