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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst
Autoren: Louise Millar
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glimpflich ab, als ich es ihr vor ein paar Stunden, heute Abend, erzählt habe. Sie war so aufgeregt, dass sie das Popcorn, das wir jeden Freitagabend als »Mitternachtsgelage« knabbern, wieder ausprustete.
    »Du arbeitest wieder?«, quiekte sie. »Wie Hannahs Mum? Auf einer Farm?«
    »Nein, Rae, sie ist Pharmazeutin«, sagte ich lachend und stellte mir bildlich vor, wie Caroline im Karen-Miller-Anzug, Blondsträhnchen im Pagenkopf, Heu auf die Mistgabel spießt. Rae hat mir schon von ihrer großen Hoffnung erzählt, dass Hannah ihre beste Freundin werden könnte.
    »Nein, ich habe einen anderen Beruf. Aber weißt du, was das heißt? Es heißt, dass ich dich nach der Schule nicht abholen kann.«
    »Hurraaa!«, schrie Rae. »Kann ich dann mit Hannah in den Hort?«
    »Äh, ja«, antwortete ich verwirrt. Dankbar. Ich vermisste sie schon jetzt.
    So weit also Rae. Aber Tom ist ein anderer Fall.
    »Was? Soll das ein Witz sein?«, braust er auf.
    »Nein.«
    Ich seufze.
    »Hör mal, Tom. Ich kann nicht ewig zu Hause bleiben. Erst sollten es sechs Monate sein, dann wurde ein Jahr daraus. Und jetzt sind es fünf Jahre. Irgendwann
muss
ich wieder arbeiten.«
    Er sagt nichts, deshalb taste ich mich weiter vor.
    »Ich habe auf gut Glück Guy angerufen, ob er zufällig etwas für mich hat, ein paar Tage freiberuflich. Und dann hat er mich aus heiterem Himmel gefragt, ob ich den Ton für Loll Parkers ersten Kurzfilm machen will – dieser norwegische Künstler, der die Ausstellung in der Tate hatte.«
    Ich mache eine Pause und kämpfe gegen das unwillkürliche kleine Lächeln an, das seit Dienstag, seit meinem Gespräch mit Guy, an meinen Mundwinkeln zieht.
    »Wahnsinn, Cal! Gut gemacht!«, hätte ich jetzt gern von Tom gehört. Und: »Toll, dass du in deinem Job so verdammt gut bist, dass dein alter Chef sich sofort um dich reißt, wenn du dich nach fünf Jahren mal meldest!«
    »’tschuldige, Cal. Hab ich da irgendwas nicht mitgekriegt?«, blafft er stattdessen. »Wer kümmert sich dann um Rae?«
    Die Kälte, die mich von Tom nun so oft anweht, bringt für mich immer noch das Universum ins Schlingern. Mein Tom von früher hat immer so geredet, als warte am Ende jedes Satzes ein Scherz. Mein Tom hat nie so geredet wie jetzt. Kein einziges Mal in vier Jahren. Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass er nur aus Sorge um Rae so redet.
    »Sie wird ein paar Wochen in den Hort gehen«, sage ich und mache mir bewusst, dass er Zeit braucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, wie ich ja auch Zeit dafür gebraucht habe. »Übrigens ist sie total begeistert. Und das Personal ist in Erster Hilfe ausgebildet, genau wie die Lehrer. Aber wenn der Auftrag gut läuft und mir gefällt, und wenn Guy mir noch mehr Arbeit anbietet, dann weiß ich nicht … Wahrscheinlich schaue ich mich dann nach einer Tagesmutter um, die sich meinen Arbeitszeiten anpassen kann.«
    Es entsteht eine zweite, sogar noch längere Pause.
    »Tom?«, sage ich dann.
    »Was ist?«, erwidert er knapp.
    Ich lasse es darauf ankommen.
    »Hör mal – ich weiß, es ist viel verlangt, aber magst du’s mit mir bequatschen? Guy hat gemeint, in der Technik hätte sich viel getan. Ich habe gesagt, das wäre sicher okay für mich, aber mir flattert das Hemd vor Angst …«
    Wieder Schweigen. Dann:
    »Ehrlich gesagt, Cal – das ist mir scheißegal. Ich fasse es nicht, dass du Rae bei fremden Leuten ablädst. Nach allem, was wir durchgemacht haben. Und ich bin verdammte fünftausend Meilen weit weg. Was kann ich da schon machen?«
    Heute Abend haben Rae und ich meinen neuen Job gefeiert. Wir haben »Cocktails« gemixt, aus Limonade, Apfelsaft und Lebensmittelfarbe, und zu
Girls Aloud
getanzt.
    Ich hole tief Luft. Bleib ruhig, beschwöre ich mich.
    »Tom. Ich weiß nicht … vielleicht … Du bist dieses Jahr viel weg gewesen und …«
    »Ja, so ist das, wenn man zwei Mieten zahlen muss, Cal.«
    Ich lasse die Luft wieder ausströmen.
    »Okay, aber ich glaube nicht, dass dir wirklich klar ist, wie gut es ihr geht. Sie will selbständig sein. Letzte Woche hat mir ihre Lehrerin erzählt, dass sie ganz allein zum Mittagspausenchor gegangen ist und mitgesungen hat, und jetzt ist sie völlig aus dem Häuschen, weil sie am Ende des Schuljahrs ein Konzert geben. Und du hättest sie heute sehen sollen, wie sie versucht hat, mit ihrem Freund zum Park zu rennen! Sie hat ein wahnsinniges Bedürfnis, sich von mir zu lösen. Sie will einfach normal sein. Und ich meine, Tom, das ist sie
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