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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst
Autoren: Louise Millar
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Freundschaften zu schließen? Wann hat sich alles auf Suzy reduziert?
    Obwohl erst Juni, ist die Luft lau und stickig. Ich löse den Riegel des alten Holzschiebefensters; es knarrt laut, als ich es nach oben stemme. Der winzige Sprung in der Eckscheibe ist länger geworden, stelle ich fest. Das will ich dem Vermieter schon eine ganze Weile mitteilen. Sonst werde ich eines Tages das Fenster hochschieben, und die Scheibe fällt einfach heraus.
    Ein Licht zieht mich an. Die neue Bewohnerin von Nr.  15 ist auch noch wach. Ich kann sie durch die Spitzengardine sehen. Sie steht in ihrem Wohnzimmer und stellt Bücher ins Regal. Hunderte von Büchern. Auch Mum hatte so viele. Die Regale links und rechts vom Kamin sind fast voll.
    Ach ja, Bücher, denke ich, während ich der Frau zusehe. Wann habe ich zuletzt ein Buch gelesen? Früher haben Mum und ich Bücher verschlungen und untereinander ausgetauscht; wir waren neugierig, was der andere davon hielt. Jetzt bin ich zu müde, um ein Buch auch nur aufzuschlagen. Müde wovon, denke ich manchmal. Vom Einkaufen und Kochen. Vom Wäschewaschen und Wäschetrocknen. Ich befördere viele Dinge von hier nach da: Rae in die Schule, die Mülltonne ans Tor, unser altes Auto zur technischen Untersuchung. Ich fühle mich wie ein Motor mit kaputter Kupplung. Meine Gedanken drehen im Leerlauf, richtungslos.
    Die Frau drüben wirkt irgendwie tröstlich auf mich. Mit ihrem dichten, ergrauenden, kinnlang geschnittenen Haar und der schwarzrandigen Brille sieht sie ziemlich alt aus. Vorhin habe ich ihren Mann gesehen, als er vom Einkaufen kam. Er ist kleiner als sie, hat ziemlich langes, sandfarbenes Haar, Koteletten, eine dicke Brille und eine für sein Gesicht recht große Nase.
    Die Frau dreht sich um. Na so was! Einen solchen Morgenmantel aus weichem Nickistoff hat meine Mutter auch immer getragen. Ich lege den Finger an die gesprungene Fensterscheibe und drücke mit dem Finger probehalber sanft dagegen.
    Vom Rest der Churchill Road starren mich dunkle Fenster an.
    O Gott. So kann ich nicht weiterleben.
    Raes Krankheit hat uns ausgedörrt. Die ständige Angst um sie. Ich bin nur noch eine Hülse. Eine leere Schote. Natürlich meiden mich andere Frauen. Sie spüren, dass ich sie aussaugen könnte. Vielleicht hat Tom recht. Vielleicht geht es mir nur um mich. Um mich und meine endlosen Probleme. Frauen spüren, dass ich in einer Freundschaft unendlich viel brauche und nichts zurückzugeben habe. Alle spüren das, das heißt, alle außer Suzy.
    Ich beobachte die Frau noch ein Weilchen, wie sie den Umschlag eines Buches betrachtet. Ob wir uns jemals kennenlernen werden? Oder werden wir auf der Straße wortlos aneinander vorbeigehen, wie ich an allen anderen Leuten hier vorbeigehe?
    Da steigt eine Erinnerung in mir auf. Ein warmer Abend, butterblumengolden. Ich bin acht und gehe schüchtern zu dem Cottage hinüber, das zu unserem Hof gehört; meine Mutter hat mir eine Lasagne anvertraut, die ich unserem neuen Hofgehilfen und seiner Frau bringen soll. Die Form ist fast zu heiß, das Küchenhandtuch, das mir meine Mutter sorgfältig über die ausgestreckten Hände gelegt hat, hält die Hitze kaum noch ab. Ich folge den Traktorspuren des Feldwegs bis zu den Brennnesselstauden an der Ecke, wo unsere Katze Tuppence neben einem Haufen rostiger alter Zaunpfähle liegt und sich putzt. Der Gehilfe und seine Frau bugsieren gerade ein Sofa durch ihr Gartentor. Die Frau, die ein gepunktetes Kopftuch trägt, dreht sich um und sieht mich an, und ich bemerke, wie ihr Blick auf die Lasagne fällt. Vor Bedenken wird mir flau im Magen. Wenn sie gar keine Lasagne mag? Woher weiß Mum, dass die das Essen überhaupt wollen? In Panik bleibe ich stehen und drehe mich wieder um. Mum beobachtet mich aus dem Fenster und treibt mich winkend weiter. Da begreife ich mit meinen acht Jahren, dass man sich manchmal um Menschen bemühen muss. Dass man tapfer sein und auf sie zugehen muss, damit man sie kennenlernen kann.
    Ich beobachte die Frau auf der anderen Straßenseite. Sie klappt ihr Buch zu und steht auf. Vielleicht, weil mich ihr Morgenmantel an Mum erinnert, beschließe ich in diesem Moment, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern. Die Frau sieht einfach nett aus.

Kapitel 6 Suzy
    Suzy schrak aus dem Schlaf hoch.
    Irgendetwas stimmte nicht.
    »Mummy …«, wimmerte Otto.
    Sie drehte sich um und zog Otto an sich.
    »Alles in Ordnung, Honey«, sagte sie automatisch, ohne sicher zu sein, ob es auch stimmte.
    Sie hob
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