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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst
Autoren: Louise Millar
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ihr Bein.
    Allen.
    Debs schrak hoch, tauchte die Arme in den Kleiderkarton und zerrte die Sachen so ungestüm heraus, dass eine von Allens Cricketkrawatten durchs Zimmer flog.
    Allen streckte den Kopf zur Tür herein. »Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte er. Sein Blick fiel erst auf die Krawatte, die von der Kommode baumelte, dann auf die geschlossenen Vorhänge. Er ging hinüber und zog sie auf.
    Debs lächelte angestrengt und rieb sich den Nacken. »Ich packe ein bisschen aus.«
    Er zog die Nase kraus. »Warte lieber, bis wir alles aus der Diele weggeschafft haben«, sagte er.
    »Hm, vielleicht hast du recht.« Sie nickte und machte Anstalten, sich zu erheben.
    Allen streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen. Dann sah er sich in dem großen Schlafzimmer um. Die Sonne schien durch die Fenster und malte einen breiten, buttergelben Streifen auf die Wände. Das Bett war frisch bezogen, die sahneweiße Daunendecke hatten sie neu gekauft, dazu passende Holzlampen für die beiden Nachttischchen.
    »Ja … Hier werden wir glücklich sein«, sagte Allen mit einem Kopfnicken.
    Das klang nach Befehl, dachte sie. Was sie ihm nach den letzten sechs Monaten auch nicht verübeln konnte.
    Debs hörte nebenan die Haustür zuschlagen, dann das Gartentor. Würden sie jedes Mal, wenn sie das Haus verließen, solchen Lärm machen?
    »O ja, Schatz!« Lächelnd wandte sie sich Allen zu. »Das werden wir.«

Kapitel 5 Callie
    Mitten in der Nacht höre ich etwas klingeln. Erst nach einer geraumen Weile kapiere ich, dass es das Telefon ist.
    Manchmal habe ich nämlich Klangträume. Ich weiß, dass die meisten Menschen in Bildern träumen, ich aber nicht, schon seit meiner Kindheit nicht mehr. Meine Träume laufen meist so ab, dass ich irgendwo in einer leeren Landschaft sitze, zum Beispiel in Dads Kartoffelfeld unter dem matten, mausgrauen Winterhimmel von Lincolnshire, ringsum absolute Stille. Dann erheben sich in meiner Umgebung Geräusche, jeder Ton rein und klar in meinen Ohren. Vielleicht beginnt es mit dem Wind, der an mir vorbeistreicht und das Laub eines Baums zum Rauschen bringt. Musik setzt ein wie Böen, die dissonant durch leere Entwässerungsrohre pfeifen. Dann kommt ein Pulsieren dazu. Ein schwerer, dröhnender Herzschlag. An diesem Punkt wache ich meistens auf, schweißgebadet und mit panischem Herzklopfen. Ich springe aus dem Bett, laufe in Raes Zimmer und vergewissere mich, dass sie noch atmet.
    Aber heute weckt mich weder Herzklopfen noch ein Traum, nicht einmal die im Schlaf wimmernde Rae. Sondern Tom.
    »Hi«, ruft er in den Hörer. »Ich hab deine Nachricht bekommen. Was gibt’s?«
    »Moment mal«, murmle ich und wälze mich herum, bis ich den Hörer richtig am Ohr habe. Ich höre Tom mit einem leichten Echo. Satellitentelefon.
    »Was ist denn los?«, fragt er besorgt.
    »Nichts, nichts. Rae geht es gut.« Ich versuche, mich aufzusetzen.
    »Worum geht’s dann?«, schnarrt er kurz angebunden.
    »Tom?« Ich blinzle kräftig, damit ich die Augen aufkriege. »Weißt du, dass es zwei Uhr nachts ist?«
    Schweigen am anderen Ende, während Tom nachrechnet, dass es in England fünf Stunden früher ist als bei ihm in Sri Lanka und nicht fünf Stunden später.
    »Mist. Hab ich’s schon wieder verbockt?«
    Tom ist ein großartiger Naturfilmer, der einem alles über die Fortpflanzungsgewohnheiten von Goldschakalen oder Fenneks erzählen kann, aber Zahlen sind für ihn fast, was für einen Dyslexiker Buchstaben sind. Früher fand ich es süß und komisch, wenn er mich um zwei Uhr früh aus Uganda oder Papua-Neuguinea anrief und ich ihm sein reuevolles Bedauern anhörte, weil er schon wieder danebenlag. »Na, erzähl mir doch, was du heute so gemacht hast«, sagte ich dann immer, vergrub mich unter die Daunendecke ins Dunkel, damit ich so tun konnte, als läge er neben mir, und hörte mir an, dass er den ganzen Tag nach der Erdhöhle einer seltenen Wolfsspinne gesucht hatte oder auf einem Baum ausharren musste, bis seine Führer den Berglöwen darunter vertrieben hatten.
    Aber Tom und ich erzählen uns keine Geschichten mehr.
    Wir kommen direkt zur Sache.
    »Ich habe angerufen, weil es bei mir etwas Neues gibt«, sage ich.
    »Was denn?«
    »Hm … also, ich fange wieder an zu arbeiten.«
    Darauf folgt eine Pause. Eine lange, gewaltige Pause, die sich von London über den nächtlichen Sternenhimmel des Arabischen Meers bis nach Sri Lanka dehnt.
    Vielleicht geht es ja glimpflich ab, denke ich. Schließlich ging es auch bei Rae
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