Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst
Autoren: Louise Millar
Vom Netzwerk:
auch.«
    Dann schicke ich meinen letzten Trumpf ins Rennen.
    »Das bedeutet übrigens auch, dass ich mein Geld wieder selbst verdiene und dich nicht dauernd bitten muss. Vielleicht brauchst du dann nicht mehr so viel im Ausland zu arbeiten …«
    Da höre ich doch tatsächlich ein verächtliches Schnauben.
    »Weißt du, was, Cal? Jetzt sind wir beim Knackpunkt. Im Grunde geht es dir nur um dich.«
    Was? Ich spüre, wie mein hitziges, von meiner Mutter ererbtes Temperament mit mir durchgehen will. Ich schlucke.
    Zähle bis zehn.
    »Ich glaube keine Sekunde«, fährt Tom fort, »dass die Sache auch nur das Geringste damit zu tun hat, was gut für Rae ist, Cal. Ich glaube, dir geht es ausschließlich darum, was gut für dich ist …«
    »Tom – das ist nicht fair!«, höre ich mich in den Hörer schreien.
    Bitte, denke ich. Bleib ruhig, Callie. Lass dich von ihm nicht provozieren.
    »Nicht fair?«, schnaubt er. »Findest du? Du denkst doch bloß an dich selber …«
    Es hat keinen Zweck. Wenn Mums Wut in mir hochkocht, dann kommt sie tief aus dem Bauch heraus. Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, meine Mutter hätte lange genug gelebt, um mir beizubringen, wie ich diese Wutausbrüche in den Griff kriege.
    »Tom?« Ich werde immer lauter. »Warum hörst du mir nicht einfach … einfach … ach … SCHEISS DOCH DRAUF !«
    Jetzt ist alles zu spät. Ich knalle den Hörer hin, drehe mich im Bett auf die andere Seite und kreische ins Kissen.
    Idiotin!
    Du bist ja so was von blöd, blöd, blöd!
    Schon wieder entgleist. Jedes Mal dasselbe.
    Ich vergrabe das Gesicht in das weiche Baumwollkissen und schmore in der Stinkwut, die ich auf mich habe. Das Kissen wird von meinem heißen Atem schnell feucht. Irgendwie ist die Wärme tröstlich.
    O Gott. Ich wette, Kate, seine Kameraassistentin, war da und hat den Ausbruch mitgekriegt. Ich wette, sie lag mit dem Kopf auf seiner Schulter und hat ihr unglaubliches, brombeerfarbenes Haar über ihn gebreitet.
    Warum lasse ich ihn an mich ran?
    Stöhnend rolle ich mich aus dem Bett, laufe im Schlafzimmer auf und ab und schüttle den Kopf. Bloß nicht heulen. Auf keinen Fall. Ich werde mir von Tom nicht das lange verschüttete Fitzel Selbstachtung, das Guy mir diese Woche zurückgegeben hat, wieder wegreißen lassen.
    Ohne bestimmte Absicht greife ich nach meinem Adressbuch. Ich möchte so dringend mit jemandem reden, weiß aber schon, dass ich in diesem Buch niemanden finden werde. Die schmuddeligen Seiten sind zerfleddert, voll durchgestrichener Adressen und veralteter Einträge. Ich nehme mir immer wieder vor, das Buch zu ersetzen, weiß aber insgeheim, dass kaum jemand übrig bliebe, wenn ich alle meine alten Schulfreundinnen aus Lincolnshire wegließe, die Freunde von der Uni und aus der Arbeit, die irgendwann nicht mehr anriefen, als ich mit siebenundzwanzig ein Kind mit Herzfehler zur Welt gebracht hatte und die nächsten drei Jahre zu müde war, um mit irgendwem einen trinken zu gehen oder zu telefonieren.
    Ich sehe mir die wenigen an, die hartnäckig Kontakt zu mir gehalten haben. Auch sie verschwinden nun von selbst, die Tinte verblasst mit den Jahren. Ich gehe sie in Gedanken durch. Fionas Vater ist vor drei Monaten in einer Klinik in Lincoln gestorben, und ich habe mich nicht mehr bei ihr gemeldet, seit sie mich anrief und es mir berichtete – offen gestanden, weil sie sagte, dass ihre Freundinnen ihr diese Zeit »durchzustehen halfen«, und ich mit einem schmerzhaften Stich erkannte, dass sie mich nicht mehr dazurechnete. Da kann ich sie schlecht mitten in der Nacht anrufen und von ihr verlangen, dass sie zuhört, wenn ich mich auskotze. Und dann Sophie. Ich zähle die Monate, seit sie nach Zürich versetzt wurde. Vier Monate ist sie schon weg, und ich bin immer noch nicht dazu gekommen, die Schweizer Telefonnummer, die sie mir auf einer witzigen Postkarte geschickt hat, in mein Adressbuch zu übertragen – eine Postkarte von einer melkenden Bergbäuerin, eine Anspielung auf jene fast vergessene Nacht, als Sophie Tränen lachte, während ich ihr in meinem Suff an unserer entgeisterten alten Katze vorzuführen versuchte, wie man Kühe melkt. Wahrscheinlich ist die Karte auch längst verlorengegangen. Ich habe den Verdacht, Sophie hat sie mir ohnehin nur der Form halber geschickt, aus alter Treue zu einer Freundschaft, die sich sang- und klanglos in Luft aufgelöst hat.
    Ich lege das Adressbuch wieder weg.
    Wann ist mir die Fähigkeit abhandengekommen, neue
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher