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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch
Autoren: Michaela Seul
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Kameraeinstellungen abgehandelt. Hier verbrauchten sie zwei, drei Stunden, wenigstens kam es mir so vor, aber auf mein Zeitgefühl konnte ich mich nicht verlassen, und ich vergaß auch, auf die Uhr zu schauen, ich vergaß zu trinken, und ich vergaß meine Pilatesstunde um sechzehn Uhr; zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich eine Stunde unentschuldigt ausfallen. Wer mich kennt, weiß, was das bedeutet. Ich muss sehr durcheinander gewesen sein. Das Angenehme daran war, dass es mir selbst nicht auffiel.
     
    Auf einmal ging ein Ruck durch die Truppe. Kurz davor hatte Flipper seinen Rücken gestreckt. Er hatte es als Erster gemerkt. Ein Alphatier trat auf. Er kam aus dem Wald, die Sonne im Rücken, eine Lichtgestalt, über den Feldweg auf uns zu, als wäre das sein Feldweg, sein Wald, sein Starnberger See. Dies war sein Fall, seine Leiche.
    »Kriminalhauptkommissar Tixl. Sie sind die Auffinderin des Toten?«
    Auffinderin , wiederholte ich innerlich. Das Wort wollte ich mir merken.
    »Ja, das heißt, nein«, blieb ich bei der Wahrheit.
    »Frau Fischer«, ergänzte der Beamte der Schutzpolizei, der den Kommissar zu mir geführt hatte.
    »Frau Fischer«, wiederholte der Kommissar. Er war jünger als ein quotenträchtiger Fernsehkommissar. Mitte-Ende dreißig. Und er sah viel zu gut aus für einen erfolgreichen TV-Helden.
    »Ja, das bin ich.«
    Der Kommissar reichte mir die Hand.

    »Haben Sie den Toten gefunden oder«, er machte eine Pause und drehte sich zu Flipper, der ihm sein Hinterteil entgegenstreckte. Flipper kann attraktive Männer nicht ausstehen, »Ihr Freund hier.«
    Damit punktete der Kommissar natürlich.
    »Flipper«, sagte ich.
    »Servus, Flipper«, sagte er und punktete gleich noch mal. Die meisten Leute fragen an dieser Stelle nämlich nach, wie zuvor auch Simon. Aha, Flipper, das ist doch ein Delfin. Nach ungefähr zwanzigtausend Malen fand ich das nicht mehr originell. Vor allem, weil Flipper nichts dafür kann, dass er schwimmt wie ein Seehund.
    Flipper deutete ein Wedeln an, das mit viel gutem Willen als höflich interpretiert werden konnte. Er hatte den Kommissar mittlerweile eingescannt. Überzeugt war Flipper nicht von der Kompetenz dieses Rudelführers, warum stand der so blöd in der Gegend herum, anstatt endlich die Nase auf den Boden zu senken und wie ein Hannover Schweißhund Witterung aufzunehmen?
    »Fordern Sie Polizeihunde an?«, fragte ich das Erstbeste, was mir in den Sinn kam und verschwieg meinen Verdacht: dass Flipper von einer Liason mit einer staatlichen Spürnase träumte.
    Der Kommissar musterte mich. Lang. Viel zu lang. »Wahrscheinlich liegt die Leiche schon ein paar Tage da. Je weniger Leute hier durchlaufen, desto besser. Es wird ohnehin kaum verwertbare Spuren geben.«
    »Klar«, nickte ich.
    »Nein, ich glaube, wir brauchen keine Hunde. Ist ja alles dran, so weit.«

    »Zweieinhalb Finger fehlen«, verbesserte ich und hoffte, dass niemand auf die Idee käme, Flipper zu bezichtigen. Fleisch ist er gar nicht gewöhnt, würde ich ihn verteidigen, er kennt bloß Dosen- und Trockenfutter, und hoffen, dass niemand von Fingern auf Wiener Würstchen schließen würde.
    Der Kommissar zuckte mit den Schultern. »Die finden wir nicht mehr. Wir können froh sein, dass es keine weiteren Fraßdefekte gibt.«
    Fraßdefekte ! Auch das Wort wollte ich mir merken.
    »Schöner Kerl«, sagte der Kommissar und schaute zu Flipper. Schöner Kerl , dachte ich und schaute zum Kommissar. Er war groß und breitschultrig, hatte blaue Augen und ein Gesicht wie ein Marathonläufer – kantig und willensstark. Er trug einen 64-Stunden-Bart, und es fehlte ihm jede modische Weichheit und Melancholie, durch die sich besonders die derzeit angesagten Kommissare aus Schweden in den Vordergrund spielen. Er sah nicht aus, als würde er gerne Alkohol trinken, Opern oder Jazz hören und Schwierigkeiten beim Bedienen einer Waschmaschine haben, und er machte auch keinen resignierten Eindruck. Er sah eigentlich gar nicht aus wie ein Kommissar. Er sah aus wie ein richtig guter Typ. Er könnte mir auch in einem Sportstudio begegnen, wo sich sein Bizeps rundete, während er lässig seine Langhantel bestückte.
    Flipper stellte sich zwischen mich und den Kommissar, den er weiterhin ignorierte. Der Kommissar grinste.
    »Und du passt auf dein Frauchen auf?«, fragte er.
    »Ich bin kein Frauchen«, sagte ich. »Ich bin hier die Chefin.«

    Er ließ sich nicht einschüchtern. »Und, Chefin, kennen Sie den Toten?«
    »Das bin
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