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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst
Autoren: Douglas Coupland
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und trat Wade in die Kniekehlen. Er stürzte in den Sumpf und riss seine Mutter mit. Gayle schaute ihnen nach: »Ihr habt immerhin eine Überlebenschance, also ist es kein Mord. Aber ich hoffe, dass ihr da unten verfault.«

28
    Als Janet mit Wade in den Sumpf fiel, glaubte sie eine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen. Sie fühlte sich in die vorangegangene Woche zurückversetzt - als sie zum Shuttle-Start von Vancouver nach Orlando geflogen war. Der Anblick so vieler entschlossen und eifrig wirkender Menschen, die alle ein klares Ziel hatten, hatte sie beflügelt. Als die Maschine zum Umsteigen in Dallas landete, war es später Nachmittag, und die Temperatur außerhalb des Terminals betrug 49 Grad. Die Passagiere im Inneren des Glasbaus starrten den Himmel an, als sei bei ihm gerade eine tödliche Krankheit diagnostiziert worden. Fremde fanden sich zu Grüppchen zusammen, drängelten sich vor den Ventilatoren und teilten dann und wann einen Hauch kühler Luft. Eine Frau aus Beaumont erzählte Janet, dass bei Temperaturen über 47 Grad bei vielen Autos der Anlasser versagte; Parkplätze schmolzen wie Schokolade, der Grundwasserspiegel sank und der Planet begann schlappzumachen.
    Dann beschloss Janet, einfach mit dem Strom zu schwimmen - in der Zubringerbahn zwischen den Terminals, an den Zeitungsständen und auf den Toiletten. Ihr Anschlussflug nach Orlando verspätete sich; ihre Tochter war im Fernsehen; ihre eigene Mutter war seit dreißig Jahren tot; ihr Vater seit fünfzehn. Bildschirme und Lautsprecher, die alle die Geburt oder den Tod von irgendetwas Heiligem und Wichtigem verkündeten, kitzelten und belästigten ihre Augen und Ohren.
    Sie fand sich mit einem Tablett in einer Cafeteria-Schlange wieder, wo sie gemeinsam mit Dutzenden von Mitreisenden darauf wartete, einen Apfel mit Druckstellen, fettige Pizza und eine warme Brezel zu kaufen. Plötzlich rutschte Janet noch weiter in die Vergangenheit zurück, in eine andere Ära, in die Cafeteria von Eaton's, nicht die Eaton's-Cafeteria ihrer Jugend in Toronto, sondern die in Vancouver, wo sie als erwachsene Frau und Mutter gewohnt hatte. Es war sechs Wochen nach der missglückten Party mit der Schlägerei, die Wade und Ted sich auf dem Rasen geliefert hatten. Janet hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Wade vielleicht wieder zu Hause einziehen würde, und sie hatte die Cafeteria im vierten Stock des Eaton's-Kaufhauses in der Innenstadt als neutrale Zone ausgewählt. Eaton's hatte damals keine Ähnlichkeit mehr mit dem Arbeitsplatz ihres Vaters zur Zeit der Depression, aber allein der Anblick des Namens gab ihr ein Gefühl der Sicherheit. In der Schlange hatte Wade sich über die Gerichte lustig gemacht, die Janet auswählte: Kartoffelbrei, Schweinebraten und Vanillepudding.
    »Mom, dein Essen ist beige.«
    »An diesem Essen ist nichts auszusetzen, Wade.«
    »Aber es hat alles die gleiche Farbe.«
    »Kann schon sein. Und was genau hast du dir ausgesucht, Leonardo?«
    Janet schaute auf Wades Tablett hinunter - Cocktailfrüchte aus der Dose, die in Götterspeise schwammen, Tomatensaft und ein sternförmig dekorierter Chefsalat. Sein Tablett sah aus, als hätte er Weihnachtsbaumschmuck zum Aufhängen bereitgelegt. »Das ist hübsch«, sagte Janet.
    »Irgendwie schon, nicht?«
    Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster, von dem man einen Blick auf das Gerichtsgebäude hatte, und hörten die zeitlosen Geräusche von Menschen - vor allem älteren Menschen - bei ihrem samstäglichen Kaufhaus-Mittagessen, für viele von ihnen die köstlichste Mahlzeit der Woche. Der Lärm rief in Janet Kindheitserinnerungen hervor, gegen die sie machtlos war.
    »... Houston an Mom ... Houston an Mom.«
    »Entschuldige, Schatz. Erinnerungen. Eines Tages wirst du das verstehen.«
    »Ich werde nie alt werden. Ich will Erlebnisse, keine Erinnerungen.«
    Janet lächelte. »Jetzt bist du aber albern, Wade. Außerdem gehörst du zu den Menschen, denen ein langes Leben vergönnt ist.«
    »Ja, nicht wahr?«
    »Iss dein Mittagessen.«
    Sie redeten gut gelaunt über alles, was gerade so los war vor allem in Wades Leben. Er war bei Colin eingezogen, einem Freund, der bei Radio Shack arbeitete. »Ich schlafe in einem Schlafsack auf dem Fußboden, aber es geht bestimmt schon bald aufwärts.« Fürs Erste verdiente er sich seinen Lebensunterhalt, indem er Teppiche auslieferte, und seine Pläne, wie es aufwärts gehen sollte, waren vage.
    Janet fischte in ihrer Handtasche nach Zigaretten,
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