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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst
Autoren: Douglas Coupland
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doch die waren alle. »So was Blödes ...«
    »Nimm eine von meinen.«
    »Ach, du rauchst?«
    »Seit Jahren schon. Das kannst du unmöglich nicht gewusst haben.«
    »O doch, ich wusste es.« Sie zündete sich eine von Wades Zigaretten an und hustete. »Wade - das sind ja praktisch Zigarren. O Gott, ist mir schwindelig.«
    »Daran gewöhnt man sich.«
    Einen kurzen Moment lang brach die Sonne durch den täglichen Nieselregen draußen. Wade musste zweimal hinschauen: »Arggh! Diese gelbe Kugel da oben - sie verbrennt mir die Augen - was ist das?«
    »Wird auch langsam Zeit, dass die Sonne mal ein bisschen scheint«, sagte Janet.
    »Sonne - du hast die goldene Kugel die ›Sonne ‹ genannt was weiß dein Volk noch, von dem ich keine Ahnung habe?«
    Janet kicherte, und beide genossen den Sonnenschein. Wade fragte: »Mom, was war der glücklichste Moment deines Lebens?«
    »Was? Oh, Wade - das kann ich nicht beantworten.«
    »Warum nicht?«
    Tja, warum nicht? Eigentlich gibt es keinen Grund. »Nun ja, ich könnte es dir wohl sagen.« »Dann tu's.«
    Janet brauchte eine kleine Weile, um sich auf den betreffenden Moment zu besinnen. »Ich war nicht viel älter als du. Ich war achtzehn und total naiv. Mein Vater hat mich in dem Sommer, bevor ich deinen Vater kennen lernte, für einen Monat nach Europa geschickt - Daddy begann damals gerade, richtig Geld zu verdienen, und der Dollar - du kannst dir nicht vorstellen, wie viel der in Europa wert war.«
    Janet bemerkte, dass Wade an einem Kaffee nippte. Ach Wade trinkt jetzt Kaffee.
    »Ich war schön braun gebrannt, und ich hatte meine altmodischen kanadischen Touristenklamotten weggeworfen und mir in Italien solche hübschen leichten Sommerkleider gekauft, wie die Frau auf der Sun-Maid-Rosinen-Schachtel eins trägt. All die Pfiffe und die Aufmerksamkeit, die ich erntete - das fand ich toll. Ich hatte mich mit zwei Mädchen aus Alberta zusammengetan. Die hatten vor nichts Angst, und ich habe ihre Furchtlosigkeit irgendwie absorbiert. Ich war äußerst verwegen.«
    »Du bist eine schöne Frau, Mom. Du solltest diese Tatsache akzeptieren. Aber was ist nun mit deinem glücklichsten Moment?«
    »Ach ja. Das war in Paris, gegen Ende meiner Reise. Ein paar amerikanische Jungs flirteten mit uns, und wir sind essen gegangen, und dann waren wir in einem Nachtclub tanzen.«
    »Amerikanische Jungs?«
    »Ach, was waren die witzig! Letzten Endes war das vermutlich der Grund, weshalb ich deinen Vater geheiratet habe. Er ist Amerikaner, und Amerikaner sind so zupackend, und das gefällt mir an Menschen.«
    »Aber deine Geschichte -«
    »Viel mehr gibt es gar nicht zu erzählen. Es war drei Uhr morgens, und ich ging mit Donny MacDonald an der Seine entlang, direkt neben Notre Dame, und er sang mir Songs aus Carousel vor - ich hatte das Gefühl, mein Herz würde platzen! Und dann war da dieser kühle Wind - so kühl, dass ich eine Gänsehaut bekam, obwohl der Abend heiß und schwül war. Ich hatte so eine Vorahnung, dass meine Jugend und die Zeit der Sorglosigkeit kurz vor ihrem Ende stünden und dieser Gedanke erfüllte mich mit Traurigkeit und einem Gefühl der Resignation - ich meine, ich hatte gerade erst begonnen, mich wie ein nagelneuer Mensch zu fühlen, dem alle möglichen Optionen zur Verfügung standen - beziehungsweise so viele, wie ein Mädchen in den 50ern eben haben konnte. Das war also mein kleiner Moment des Glücks. Bevor ich irgendwas davon verarbeiten konnte, war ich wieder in der Schule, und dann habe ich deinen Vater geheiratet und euch Kinder bekommen, und es ist, als hätte sich das gesamte Universum von Möglichkeiten, die vielleicht mir gehört hätten, genau in diesem Moment, als ich mit Donny MacDonnald an der Seine entlangging, in Luft aufgelöst.« Janet tupfte mit einer Papierserviette ihr Auge trocken. »Und du, Wade? Was war dein glücklichster Moment?«
    Janet hatte nicht erwartet, dass Wade einen glücklichsten Moment hatte; er war zu jung, um überhaupt Momente zu haben, geschweige denn gute oder schlechte, und auf das, was er ihr zu sagen hatte, war sie nicht gefasst. »Das war mit Jenny. Vor ungefähr zwei Monaten.«
    »Jenny?«
    »Ja. Wir lagen in der Hängematte hinter ihrem Haus. Wir wussten beide, dass sie schwanger war, und wir dachten, wir könnten die Sache durchziehen. Ich wollte mir einen Job suchen, wir hätten eine Wohnung gefunden, das Kind aufgezogen, und wir wären eine Familie gewesen. Sie ließ mich ihren Bauch berühren, und plötzlich war
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