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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman
Autoren: Sabine Zaplin
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Woche beginnt das Semester«, sagte sie stattdessen.
    »Und?«, lachte er sie aus. »Zählt das?«
    Sie ließ den Kopf sinken. »Zähle ich? Für dich?« Sie hat es leise gesagt. Er hat sie dennoch verstanden. Hob ihr Kinn mit dem Finger an, näherte sich ihr. Als seine Lippen ihre fast berührten, sprang er zurück, zog sie am Arm heran und wirbelte sie in einem wilden Tanz herum. »Immerzu, immerzu«, sang er und lachte und ließ sie so plötzlich los, dass sie taumelte. »Such mich, Claudia, wo bin ich?«
    Er war so schnell verschwunden, dass ihr unheimlich wurde. »Anselm!«, rief sie. Lief über die finstere Bühne, stieß gegen Wände, Möbel. Er war nirgends. In der Bühnenmitte blieb sie stehen und lauschte. Die Stille nahm ihr fast den Atem. So schnell allein.
    »Anselm!«, rief sie noch einmal, verzweifelt.
    »Kuckuck«, hörte sie ihn über sich. Sie sah nach oben. Im Schnürboden kreiste das Licht der Taschenlampe. Anselm saß auf der nach oben gezogenen Schaukel. In der Jahrmarktszene wurde sie heruntergelassen.
    »Auf einem Baum ein Ku-u-kuck«, sang er, »simsalabimbambasaladusaladim …«
    »Komm sofort da runter!«, rief Claudia erschrocken.
    »Da kam ein junger Jä-ä-ger«, sang Anselm und begann zu schaukeln, erst langsam, dann immer kräftiger.
    »Anselm, hör auf damit!«
    »Der schoss den armen Ku-u-kuck tot.« Er lachte. »Du suchst die Wahrheit!«, rief er ihr zu. Er löste die rechte Hand vom Seil und hielt ihr etwas entgegen, das sie nicht erkennen konnte.
    »Sieh mal her! Da hast du sie!«
    Im Schaukeln öffnete er die Hand. Etwas fiel vor Claudias Füßen auf den Boden. Etwas Glänzendes blieb zitternd im Bühnenboden stecken. Ein Messer. Das Messer. Sie erkannte es sofort. Es war das Messer, das sie vor einigen Wochen nach der Probe dem Requisiteur zurückgegeben hatte. Das echte Messer. Sie bückte sich und zog es heraus.
    »Hol mich doch runter!«, rief Anselm ihr zu. Seine Füße baumelten gut fünf Meter über ihr. »Schneid das Seil an der Winde durch. Drüben am Zugwerk, auf der Seitenbühne.«
    »Wie bist du da hochgekommen?«, fragte Claudia und betrachtete das Messer.
    »Geflogen«, jauchzte Anselm, »jetzt mach schon. Sonst bleib ich hier.«
    Er rutschte zurück, bis die Stange sich in seine Kniekehlen schob, und ließ sich kopfüber nach unten hängen. Claudia schrie auf. Anselm streckte die Hand nach ihr aus. »Wirf mir das Messer hoch, dann mache ich es selber.«
    »Du spinnst doch. Ich hole jetzt den Nachtpförtner.«
    »Lass das!« Es klang wie ein Befehl. Sie streckte ihm das Messer entgegen, zog es wieder weg.
    »Du musst es dir schon holen!«, rief sie. »Von da oben kommst du nicht dran!«
    Er schwang sich wieder hoch und fasste die Schaukelstange mit der Hand, ließ die Beine herabhängen, drei Körper lang war der Abstand zum Boden, doch er ließ los. Sprang auf sie zu, auf das Messer zu, das sie noch immer ausgestreckt hielt, landete unmittelbar neben ihr am Boden und blieb reglos liegen. Sie beugte sich über ihn. Er bewegte sich nicht. Sie berührte ihn an der Schulter. Atmete er noch? Mit der freien Hand strich sie ihm übers Haar, über die Stirn, die Wangen. Fuhr mit dem Finger über seine Lippen. Da sprang er auf. Fast hätte das Messer ihn am Hals berührt.
    »Da war der Kuckuck wie-ie-der«, sang er aus voller Kehle, »da war der Kuckuck wie-ie-der da!!«
    Sie explodierte fast vor Wut. »Spinnst du?! Was soll der Blödsinn?!«
    Er umklammerte ihre Hand, die das Messer hielt.
    »Das hier, liebe Claudia, ist das Einzige, was zählt. Nenn es Schicksal, von mir aus. Fast wäre es aus gewesen mit mir.«
    Claudia nahm alle ihre Kraft zusammen und entzog ihm ihre Hand.
    »Das war ganz allein deine Entscheidung. Du bist da runtergesprungen.«
    »Meine Entscheidung, ja?« Er trat ganz dicht vor sie. Sie spürte die Wärme seines Körpers. »Dann entscheide du jetzt, Claudia. Stich zu. Los.«
    Er nahm die Arme hoch. »Los. Stich. Stich zu.«
    Sie wich einen Schritt zurück. Deckte die Klinge mit der anderen Hand ab. Ließ ihn nicht aus den Augen.
    »Stich hierher!«, rief er und schlug sich die Hand vor die Brust. »Zuerst mich! Dann dich selbst! Wir sind Götter, Claudia. Du und ich! Wir sind unsterblich. Oder du etwa nicht? Los! Jetzt mach schon!«
    Er lächelte sie an. Ihr wurde heiß. Er nickte.
    Sie fühlte das Messer in ihrer Hand brennen. Etwas, das stärker war als sie, hakte sich fest in ihr und flüsterte ihr zu: Er spielt nur, er spielt nur, immerzu,
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