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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman
Autoren: Sabine Zaplin
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sind«, sagte sie.
    Frank grinste sie an. »Du bist schon infiziert mit dem Bühnenvirus. Also dann, bis morgen.«
    Nach und nach ebbten die Stimmen, das Hämmern, das ganze Orchester der Arbeitsgeräusche ab. Claudia war längst fertig. Doch etwas hielt sie hier, im leeren, dunklen Theater. Auf der Seitenbühne stand in einer Nische eine alte Pritsche. Sie wurde für die Doktorszene gebraucht. Auf einmal fühlte Claudia sich leicht benommen. Sie legte sich auf die Pritsche, nur für einen Moment, nahm sie sich vor. Eine alte Armeedecke war darauf ausgebreitet, die sie jetzt über sich zog. Von der Hinterbühne hörte sie Schritte. Im Halbdunkel erkannte sie den Bühnenmeister, der einen letzten Rundgang machte. Er bemerkte sie nicht, ging an ihr vorüber, überquerte die Bühne, trat ans Inspizientenpult und löschte das Arbeitslicht. Jetzt warfen nur noch die grünen Notausgangslämpchen über den Eisentüren rechts und links der Seitenbühne ein schwaches Licht auf den Boden. Ansonsten Dunkel. Und Stille.
    Unter der nach Feuerschutzimprägnierung müffelnden Decke streckte Claudia sich beinahe wohlig aus. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, hier zu wohnen, auf der Seitenbühne, in den auf ihren Einsatz wartenden Kulissen. Vielleicht würde es ja niemand mitbekommen, so wie jetzt. Sie könnte sich nützlich machen, alles vorbereiten. Und käme jeden Tag dem Leben ein bisschen mehr auf die Spur. Natürlich war ihr klar, dass das nicht ging. Natürlich würde sie weiterstudieren, nächste Woche schon, sie wusste, was ihre Eltern, die ihr das Zimmer und alles zum Studium Nötige finanzierten, von ihr erwarteten. Was ihre eigene Vernunft ihr riet. Sie hasste diese ihre eigene Vernunft.
Auf dem Parkplatz vor der Klinik
    »Bleiben Sie stehen!«
    Die Worte treffen Anselm im Rücken, als er seinen Wagen aufsperren will. Er dreht sich um. Drei Meter entfernt von ihm steht der Mann aus dem Krankenzimmer. Ihr Mann. Er zittert. Die Worte scheinen ihm schon ausgegangen zu sein.
    »Darf ich?«, fragt Anselm und deutet auf seinen Wagen.
    Der andere macht einen Schritt auf ihn zu. »Lassen Sie meine Frau in Ruhe«, sagt er. Es klingt wie eine Frage.
    Wollen Sie wissen, was Ihre Frau eben von mir verlangt hat, will Anselm sagen und sieht überrascht zu, wie seine Hand den Autoschlüssel auf den Mann ihm gegenüber richtet, wie sein Daumen den Schnappmechanismus auslöst, wie der Schlüsselbart sich gegen den anderen richtet. So stand sie vor ihm, damals, nach der Generalprobe. »Bitte«, fleht der Mann, der erschrocken auf den gegen ihn gerichteten Schlüssel starrt.
    »Ja«, sagt Anselm müde. Müde, müde. Schlafen will er, weiter nichts. Und nicht träumen. Er steigt in den Wagen, setzt rückwärts und schaut beim Schalten in den Rückspiegel. Sieht den Mann auf dem Parkplatz stehen und ihm nachstarren, mit aufgerissenen Augen.
»… ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld?«
    Ein Geräusch ließ Claudia aufhorchen. Eine Eisentür auf der anderen Bühnenseite, die geöffnet und leise wieder geschlossen wurde. Schritte auf der Hinterbühne. Das flackernde Licht einer Taschenlampe. Sie wusste bereits, ehe sie ihn ihren Namen flüstern hörte, wer es war.
    »Claudia?«, flüsterte Anselm. Sie lachte leise.
    »Wo bist du? Ich höre dich lachen.« Langsam näherte sich seine Stimme, der Lichtstrahl der Taschenlampe hüllte sie ein. Schon lag Anselm neben ihr. »Ein schöner Platz für die Nacht«, flüsterte er ihr ins Ohr und hielt sie fest im Arm. Die Decke war zu klein für sie beide, aber sie hatten sie ohnehin nicht nötig.
    Er küsste sie sachte auf die Nasenspitze. Sie setzte sich auf. »Du sollst ehrlich mit mir sein, Anselm. Ich will die Wahrheit wissen.«
    Er ließ sich stöhnend von der Pritsche rollen und landete auf dem Boden. Sie beugte den Kopf zu ihm hinunter. Er zog sie an den Schultern. Sie fiel auf ihn, er umklammerte sie, sie rollten ungestüm in die Bühnenmitte. Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf das Bühnenbild, tastete die Möbel ab, die schmalen Stellwände. »Ist das die Wahrheit? Sperrholz und Leim? Sieh dir das an, Claudia.«
    Wild sprang er auf die Bühne und zog sie an der Hand durch die Szene, bis sie stolperte. »Alles Lug und Trug!« Er lachte übermütig.
    »Warte«, bat sie, riss sich los, blieb keuchend stehen.
    »Trotzdem«, stieß sie aus, »es geht um das, was wahr ist. Was zählt.«
    Was bin ich für dich, wollte sie wissen und wagte nicht, danach zu fragen. »Nächste
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