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Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Titel: Alicia - Gefaehrtin der Nacht
Autoren: Kerstin Michelsen
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wir eingetreten waren. Von außen waren mir die Fenster der Villa dunkel erschienen, doch als wir eintraten, waren die Innenräume hell erleuchtet.
    Der verbliche ne Prunk der Eingangshalle kündete von lange vergangenem Reichtum, dennoch war ich beeindruckt. Was für ein ungewöhnliches Haus, und so groß! Über uns, in mehreren Metern Höhe, schwebte ein Kronleuchter unter der stuckverzierten Decke. Das Licht flackerte auf ungewohnte Weise und ich erkannte, dass der Leuchter mit echten Kerzen bestückt war. Während ich noch überlegte, wer die wohl entzündet haben mochte, und wie man das machte, so hoch oben, schritt Laurean an mir vorbei auf eine breite Schiebetür zu. In das weiße Holz waren Scheiben aus geschliffenem Glas eingelassen, in denen sich der Widerschein eines Feuers brach. Laurean öffnete die Tür und ließ mich vorgehen. Als ich mich nach ihm umblickte, war er verschwunden.
    Ich wandte mich dem Raum zu, der kein einfaches Zimmer war, eher ein Saal, der von einem weiteren Kronleuchter erhellt wurde. Unzählige Glaskristalle klirrten leise aneinander. Die Wände waren bis zur Decke mit dunklem Holz getäfelt und alle paar Schritte von mannshohen Fenstern unterbrochen. Die Stirnseite des Raumes wurde von einem mächtigen marmornen Kamin beherrscht, in dem ein Feuer brannte. Davor befand sich ein Lager aus Teppichen, Decken und Kissen. Ich stellte verwundert fest, dass der ganze Saal kein einziges Möbelstück enthielt. Wo sollte ich mich hinsetzen, während ich auf Laurean wartete? Wo war er überhaupt?
    Mich ohne Aufforderung auf dem — zugegebenermaßen einladend aussehenden —Lager auszustrecken, wäre mir aufdringlich und plump vorgekommen. Mit einem Mal fühlte ich mich befangen und unsicher. Die Erregung, die ich vorhin noch in Laureans Nähe verspürt hatte, war verflogen.
    Ich ließ mich vorsichtig auf einer Ecke des Lagers nieder. Plötzlich spürte ich, dass meine Fußsohlen brannten. Ich zog die schmerzenden Beine an und ließ mich rücklings auf die Decken sinken. Die Teppiche waren erstaunlich weich. Ich starrte an die Decke und versuchte, mir über meine Gefühle und das Geschehene klar zu werden. Es war zwecklos, ich brachte keinen einzigen klaren Gedanken zustande. Ich sah Laureans Lippen vor mir, von denen Blut troff, und in meiner Verwirrung fragte ich mich, wie es wohl schmecken mochte. Dabei glaubte ich nicht, dass das alles wirklich geschehen war. Es war einfach zu unglaublich! Dann musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen das nächste Mal öffnete, kniete Laurean vor mir. Er betrachtete mich so aufmerksam, als sähe er mich zum ersten Mal. Er trug einen altmodischen Morgenrock, der aus einem schweren Stoff zu sein schien, aus Samt oder etwas Ähnlichem. Laureans Gesicht war blass und rein, keine Spur mehr von dem Blut. Was hatte ich nur für einen verrückten Traum gehabt? Egal, er war bei mir, das war alles, was zählte.
    «Ich brauche dich», sagte er. «Ich wollte dich gehen lassen, aber ich kann es nicht.»
    »Ich brauche dich auch.»
    Er lachte ein heiseres Lachen.
    «Ich brauche dich so, wie du mich brauchst, aber du brauchst mich nicht so, wie ich dich brauche.»
    Was sollte das denn bedeuten? Ich verstand kein Wort, aber Verstehen spielte keine Rolle mehr. Der Stoff seines Morgenmantels ließ den Blick frei auf eine Männerbrust, die aussah wie aus hellem Marmor gemeißelt. Wenn er sich bewegte, ja, wenn er nur sprach, konnte ich das Spiel seiner Muskeln beobachten. Ich hatte noch niemals etwas so Vollkommenes gesehen und konnte den Blick kaum mehr von ihm abwenden.
    «Es gibt nur eine Möglichkeit für uns, zusammen zu sein. Du musst etwas tun», sagte er.
    «Was muss ich denn tun?», fragte ich und streckte eine Hand aus. Ich wollte ihn berühren, ihn fühlen, unbedingt, doch er wich zurück.
    «Du musst mich beißen.»
    Ich kicherte unsicher. Laurean streifte den Hausmantel ab. Er war nun nackt bis auf eine goldene Halskette, an der ein flaches Amulett befestigt war. In der Mitte des Schmuckstückes funkelte ein Edelstein wie eine rote Träne oder ein Blutstropfen.
    Mit einer fließenden Bewegung ließ Laurean sich neben mich auf das Lager gleiten. Ich drehte mich auf die Seite, wir sahen uns an. Der Widerschein des Kaminfeuers bleckte über seinen schmalen Körper, der mir auf unerklärliche Weise sehr jung und doch irgendwie gereift vorkam. Laurean war Knabe und Mann zugleich, weiblich und männlich, Mensch und Tier, er war wie Hitze und Kälte,
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