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Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Titel: Alicia - Gefaehrtin der Nacht
Autoren: Kerstin Michelsen
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Manchmal biss ich mich selbst ein wenig, nur um Salizarenblut zu schmecken und nicht so einsam zu sein. Das tröstete mich dann und ich konnte wieder eine Weile weitermachen. Schließlich ging es nicht um mich, sondern um den Fortbestand des Stammes.
    U nd natürlich brauchte ich Blut, darum verließ ich mein neues Zuhause jede Nacht nach Anbruch der Dunkelheit. Manchmal traf ich Kunden, die ich wie früher über das Internet fand, denn ich brauchte nun auch das Geld für die Miete. Aber ich fand auch sonst ganz mühelos Beute. Für die Menschen war ich nur eine Frau, stellte also keine Gefahr dar, wenn ich mitten in der Nacht durch den Park streifte, und wenn die Aussicht auf schnellen Sex bestand, dann folgten sie mir überallhin. Ich fand keine Befriedigung in diesen Begegnungen, aber ich musste leben und ich brauchte das Blut, also machte ich weiter und trauerte um Laurean und sein stolzes Volk.
     
    Wenn ich hinter der Ulme stand, dann war die Einsamkeit so bohrend und schmerzhaft, dass ich es kaum aushalten konnte. Punkt neun Uhr, jeden Abend, wurde die Tür des Mehrfamilienhauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite geöffnet und eine Frau trat hinaus. Sie war nicht mehr ganz jung und sie hatte stets diesen kleinen Hund bei sich, der seine besten Jahre ebenfalls hinter sich hatte. Sie gingen immer die gleiche Runde, auf der ich ihnen ungesehen folgte. Ich wollte nur sicher sein, dass meiner Freundin im Dunkeln nichts passierte, denn wer wusste besser als ich, was einem in den nächtlichen Straßen dieser Stadt alles zustoßen konnte?
    Einmal hatte ich es so eingerichtet, dass wir uns unter einer Straßenlaterne begegneten. «Guten Abend», hatte ich im Vorübergehen leise gesagt und auf eine Antwort gehofft, weil ich ihre Stimme so gern hören wollte, doch sie hatte nur genickt, ohne überhaupt den Blick zu heben, dann hatte sie ihre Schritte beschleunigt und sich beeilt, die Haustür aufzuschließen. Aus meiner lustigen, lebensfrohen Lena war eine ängstliche, alte Frau geworden. Der Gedanke, dass ich daran mitschuldig sein könnte, ließ mich nicht los, und so folgte ich ihr unauffällig jeden Abend und wenn ich mich manchmal in ihre Träume schlich, dann achtete ich sorgfältig darauf, dass diese stets gut für sie ausgingen. Ansonsten wusste ich nichts über sie, wie ihr Leben verlaufen war, was aus der Ehe mit Hauke geworden war. Hatten sie sich getrennt oder war er schon gestorben, hatten sie Kinder gehabt oder war Lena so allein auf der Welt wie ich?
    An diesem Abend war alles wie immer gewesen. Ich hatte über ihre Rückkehr in das sichere Haus gewacht, erst dann wandte ich mich ab und eilte durch die Stadt zu dem vereinbarten Treffpunkt. Der Mann, mit dem ich verabredet war – nun, es schien mir, dass er etwas Besonderes an sich hatte. Kein Kunde, wir waren uns durch Zufall begegnet, als er mit dem Fahrrad aus einer Ausfahrt gekommen und mir über den Fuß gefahren war. Er hatte honiggelbe Augen, das war mir sofort aufgefallen, wie die einer Wildkatze, aber sie hatten warm und freundlich geblickt, und neugierig. Er war groß und breitschultrig, das gefiel mir, und der Hemdkragen hatte den Blick auf einen kräftigen und sonnengebräunten Hals freigegeben; vor allem aber hatte er nicht auf meine Brüste gestarrt, während er sich entschuldigte und wir ins Gespräch gekommen waren. Wir hatten unbefangen miteinander gelacht, als er etwas Komisches gesagt hatte, und dann hatte er mir schon die Telefonnummer entlockt und am selben Nachmittag noch hatten wir telefoniert und uns verabredet. Zum ersten Mal seit Langem freute ich mich auf etwas.
    Ich wartete vor dem Eingang zu einem Biergarten, den er vorgeschlagen hatte. Es war eine laue Nacht. Wie damals. Ich horchte in mich und spürte, dass Laurean bei mir war, als wäre er zu mir unter die Haut geschlüpft. Das Gefühl erregte und beruhigte mich zugleich. Ich drückte den Rücken durch und warf mein langes, tiefschwarzes Haar zurück. Zwei Männer strebten auf den Biergarten zu, in dem viele Tische schon besetzt waren. Ich roch den Alkohol in ihrem Atem und registrierte die unverhohlen anzüglichen Blicke, die sie ungeniert meine langen Beine hinaufwandern und dann auf meinen Brüsten verweilen ließen. In einer anderen Nacht hätte ich wohl nicht gezögert, sie mitzunehmen, ich hätte sie mit meinen Augen eingeladen und an einen ungestörten Ort mitgenommen. Die Versuchung wallte in mir auf, nur ganz kurz, dann wandte ich den Blick ab und versuchte,
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