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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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Gesicht eines verkrüppelten Kindes findet. Wenn er mit einem Buckel geboren wurde, dann ist wohl das und nicht die Kinderlähmung die Erklärung dafür. Ich sehe, daß der Künstler den Buckel weggelassen hat.«
    »Ja. Hofmaler müssen ein gewisses Maß an Takt wahren. Erst nach Cromwell ließen die Auftraggeber sich gewissermaßen warzengetreu darstellen.«
    »Wenn Sie mich fragen«, sagte der Chirurg und betrachtete dabei abwesend Grants geschientes Bein, »hat Cromwell diese umgekehrte Versnobtheit in Mode gebracht, an der wir heute alle kranken. ›Ich bin ein schlichter Mensch, sonst nichts, bei mir gibt’s keine Mätzchen.‹ Aber auch keine Manieren, keine Anmut und keine Großzügigkeit.« Er zwickte Grant nicht sehr interessiert in die Zehe. »Es ist wie eine ansteckende Krankheit. Ich habe gehört, daß in manchen Teilen der Vereinigten Staaten ein Mann, der mit Krawatte und Rock zu einer Wahlversammlung geht, seine politische Karriere verspielt, weil er sich altmodisch benimmt. Das heutige Ideal ist der kesse Junge. Der macht aber einen guten Eindruck«, fügte er hinzu und meinte Grants großen Zeh. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit unaufgefordert wieder dem Porträt zu, das auf der Bettdecke lag.
    »Interessant«, sagte er, »die Sache mit der Kinderlähmung. Vielleicht war es wirklich Kinderlähmung, das wäre eine Erklärung für den verkümmerten Arm.« Er betrachtete das Bild weiter, ohne Anstalten zum Gehen zu machen. »Auf jeden Fall sehr interessant. Porträt eines Mörders. Würden Sie ihn einen klassischen Typ nennen?«
    »Es gibt keinen Mördertyp. Die Menschen morden aus vielzuviel verschiedenartigen Gründen. Aber ich entsinne mich keines Mörders, ob aus eigener Erfahrung oder aus der Geschichte, der ihm ähnlich sieht.«
    »Er war ja natürlich auch außer Konkurrenz in seiner Klasse. Das Wort Skrupel hat er wohl kaum gekannt.«
    »Nein.«
    »Ich habe einmal Laurence Olivier in der Rolle gesehen. Es war die tollste Darstellung des absolut Bösen. Immer an der Grenze des Grotesken, aber nicht um ein Haar darüber hinaus.«
    »Hätten Sie den Mann für einen Schurken gehalten«, fragte Grant, »ehe ich Ihnen sagte, wer er ist?«
    »Nein«, sagte der Chirurg. »Nein, ich hielt ihn für einen Kranken.«
    »Seltsam, nicht wahr? Auch mir kam er nicht wie ein Schurke vor. Und nun, seit ich weiß, wer er ist, seit ich den Namen auf der Rückseite gelesen habe, muß ich immer an den Schurken denken.«
    »Ich glaube, daß es damit ist wie mit der Schönheit, über die ja auch der Betrachter entscheidet. Also, ich werde Ende der Woche wieder nach Ihnen sehen. Keine besonderen Schmerzen?«
    Und er ging so freundlich und unpersönlich, wie er gekommen war.
    Erst als Grant das Porträt noch eine Weile verwirrt betrachtet hatte – es wurmte ihn, einen der berüchtigsten Mörder aller Zeiten für einen Richter gehalten zu haben –, kam ihm der Gedanke, daß dieses Porträt ihm vielleicht zugespielt worden war, damit er seine Fähigkeiten als Detektiv daran beweisen könne.
    Welches Geheimnis umgab Richard III.
    Und dann entsann er sich der Geschichte. Richard hatte seine beiden kleinen Neffen ermordet, aber niemand wußte, auf welche Weise. Sie waren einfach verschwunden. Wenn er sich recht erinnerte, waren sie verschwunden, als Richard von London abwesend war. Richard hatte irgend jemand damit beauftragt. Aber das Geheimnis um das Schicksal der Kinder war niemals geklärt worden. Man hatte zwei Skelette gefunden – war es nicht unter einer Treppe gewesen? – und beigesetzt. Das war zur Zeit Karls II. gewesen. Man hatte es für selbstverständlich genommen, daß diese Skelette die Überreste der kleinen Prinzen waren, aber bewiesen wurde es nie.
    Es war erschreckend, wie wenig Geschichtskenntnisse einem auch von einer guten Erziehung zurückblieben. Er wußte von Richard III. nur, daß er der jüngere Bruder Eduards IV. war, daß Eduard ein blonder Hüne von bemerkenswerter Schönheit und noch bemerkenswerterem Erfolg bei Frauen war und daß Richard ein Krüppel war, der sich nach dem Tod seines Bruders an Stelle des unmündigen Erben in den Besitz des Throns gebracht und den Tod dieses Erben und dessen jüngeren Bruders befohlen hatte, um sich weitere Scherereien zu ersparen. Er wußte auch, daß Richard in der Schlacht von Bosworth gefallen war und verzweifelt nach einem Pferd gerufen hatte und daß er der Letzte seines Stammes gewesen war. Der letzte Plantagenet.
    Jeder Schuljunge blätterte
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