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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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erleichtert die letzte Seite des Kapitels Richards III. um. Denn nun waren die Kriege der Rosen endlich aus, und man kam zu den Tudors, die langweilig, aber leicht zu verstehen waren.
    Als die Zwergin erschien, um vor der Nacht noch einmal seine Kissen aufzuschütteln, fragte Grant: »Sie haben nicht zufällig ein Geschichtsbuch greifbar?«
    »Ein Geschichtsbuch? Nein. Was soll ich mit einem Geschichtsbuch?« Da dies nicht als Frage gemeint war, erhielt sie auch keine Antwort. Sein Schweigen schien sie zu ärgern.
    »Wenn Sie wirklich ein Geschichtsbuch haben wollen«, sagte sie nach einiger Zeit, »dann fragen Sie doch Schwester Darroll, wenn sie Ihnen das Abendessen bringt. Sie hat all ihre Schulbücher auf einem Regal in ihrem Zimmer, und es ist durchaus möglich, daß sich darunter auch ein Geschichtsbuch befindet.«
    Das sah der Amazone ähnlich, ihre Schulbücher aufzuheben! Sie hatte wohl immer noch Heimweh nach der Schule, wie sie zur Zeit der Narzissenblüte Heimweh nach Gloucestershire hatte. Als sie mit dem Käseauflauf und dem gekochten Rhabarber ins Zimmer trapste, verfolgte er ihre Bewegungen mit einer verständnisvollen Geduld, die an Wohlwollen grenzte. Mit einemmal schien sie kein vollbusiges Frauenzimmer mehr zu sein, das wie eine Dampfwalze schnaufte, sondern eine potentielle Freudenspenderin.
    O ja, sie habe ein Geschichtsbuch. Wahrscheinlich sogar zwei. Sie habe all ihre Schulbücher aufgehoben, denn sie sei sehr gern zur Schule gegangen.
    Es lag Grant auf der Zunge, zu fragen, ob sie auch ihre Puppen aufgehoben habe, aber er hielt sich noch rechtzeitig zurück.
    »Und natürlich liebte ich Geschichte«, sagte sie. »Es war mein Lieblingsfach. Mein Held war Richard Löwenherz.«
    »Ein unerträglicher Nichtstuer«, bemerkte Grant.
    »Wie können Sie!« erwiderte sie gekränkt.
    »Ein thyreotoxischer Typ«, sagte Grant mitleidlos. »Raste wie eine verunglückte Rakete auf dem Erdball hin und her. Haben Sie jetzt Feierabend?«
    »Sobald ich meine Tabletten ausgetragen habe.«
    »Könnten Sie mir das Buch noch heute abend bringen?«
    »Man hat Ihnen Schlaf verordnet und nicht nächtliche Lektüre von Geschichtsbüchern.«
    »Ich kann ebensogut Geschichtsbücher lesen wie die Decke anstarren – was anderes täte ich ja doch nicht. Würden Sie es mir holen?«
    »Ich glaube nicht, daß ich für jemanden, der häßlich über Löwenherz spricht, den weiten Weg bis zum Schwesternhaus und wieder zurück gehen kann.«
    »Na schön«, sagte er. »Ich bin nicht aus dem Holz, aus dem Märtyrer geschnitzt werden. Dann war Löwenherz eben ein Ausbund an Edelmut, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein Befehlshaber ohne Fehl, der höchsten Ehren würdig. Werden Sie mir jetzt das Buch holen?«
    »Mir scheint, Sie haben es bitter nötig, sich ein wenig mit Geschichte zu befassen«, sagte sie und glättete die Bettdecke mit ihrer großen Hand. »Und deshalb werde ich Ihnen das Buch nachher vorbeibringen. Ich gehe sowieso ins Kino.«
    Es dauerte fast eine Stunde, bis sie wiederkam, ein Turm in einem Kamelhaarmantel. Das Oberlicht war abgedreht worden, und sie trat wie eine freundliche Fee in den Lichtkegel der Leselampe.
    »Ich hatte gehofft, Sie würden schon schlafen«, sagte sie. »Ich finde es eigentlich nicht richtig, daß Sie jetzt noch zu lesen anfangen.«
    »Wenn mich überhaupt etwas einschläfern kann«, sagte Grant, »dann ist es ein englisches Geschichtsbuch. Sie dürfen also mit gutem Gewissen Händchen halten.«
    »Ich gehe mit Schwester Murrows.«
    »Sie können trotzdem Händchen halten.«
    »Und Sie können einem wirklich auf die Nerven gehen«, sagte sie geduldig und entschwand wieder im Dunkel.
    Sie hatte zwei Bücher mitgebracht.
    Das eine war die Sorte Geschichtsbuch, die unter dem Namen »Erzählungen aus der Geschichte« läuft. Mit Geschichte hatte es ebensoviel zu tun wie die Biblischen Geschichten mit der Heiligen Schrift. Raleigh breitete seinen Mantel für Elisabeth aus, Nelson verabschiedete sich von Hardy in seiner Kabine auf der »Victory«, und so weiter. Das alles in schönen großen, gut leserlichen Buchstaben und kurzen Absätzen. Zu jeder Episode gab es eine ganzseitige Abbildung.
    Die Tatsache, daß die Amazone solch kindische Bücher hortete, hatte etwas seltsam Rührendes an sich. Er blätterte bis zum Vorsatzblatt zurück, weil er sehen wollte, ob ihr Name hineingeschrieben war. Da stand:

Ella Darroll
Dritte Klasse
New Bridge – Mädchenschule New
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