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Alexander

Alexander

Titel: Alexander
Autoren: Klaus Mann
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des Knaben, süß verschleiert, matt silbrig; plötzlich klirrend hell, aufleuchtend, wie wenn Licht durch eine schöne Dämmerung dringt. Wandte der Meister sich, durch das Wunder dieser Stimme verleitet, und sah doch wieder hin, so erschrak er über das Gesicht, das sich ihm Antwort heischend, dabei spöttisch, entgegenhielt. Dieses Gesicht wollte wissen, es wollte maßlos viel, unermeßlich viel wissen. Es bestand darauf, hier war nicht zu spaßen.
    So trug Aristoteles vor, formulierte, erklärte. Er sprach von der Kunst der Rhetorik, ihren Aufgaben, Möglichkeiten, Gefahren; an Beispielen erklärte und kritisierte er Stil und Manier der großen griechischen Redner, der klassischen sowohl als der modernen; einige tadelte er, auf andere wies er mit erhobenem Zeigefinger lobend hin. Schlecht war alle Rhetorik, welche spielerischer Selbstzweck wurde, von der Sophistik dachte er gering. In Athen hatte sich ein Wortgewandter, aus Freude am Paradox, dazu verleiten lassen, einen Vortrag dem ›Lob der Mäuse‹ zu widmen; derlei Späße fand der Philosoph verächtlich. Als letzten klassischen Rhetor nannte er den Isokrates, der übrigens ein besonderer Verehrer des Philipp war.
    Er definierte den Begriff der Poesie, gab, an Hand von Zitaten, die oft zu Deklamationen wurden, ihre wesentlichsten Gesetze. Trug er aus dem Homer oder aus den großen Tragikern vor, fand Alexander, daß ein Schauspieler an ihm verlorengegangen sei. Er bekam hitzige Wangen und erregte Augen, ließ die Stimme dröhnen und säuseln. Ohne daß der Prinz wußte warum, sank der Lehrer während solcher Augenblicke in seiner Achtung.
    Er suchte die Anatomie des menschlichen Körpers zu erklären, auch die Gesetze seines Innenlebens, was er Psychologie nannte. Er ging zu den Tieren über, die er in Familien einteilte. Erst behandelte er diese übersichtlich, im großen und ganzen, später ging er unerbittlich auf Details ein, indem er Eigenarten, Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse aller Lebewesen, so ausführlich er‘s wußte, beschrieb. Alexander hörte von den Gewohnheiten des Einsiedlerkrebses und des Wüstenlöwen; schließlich versuchte Aristoteles sogar über die Psychologie der Tiere Auskunft zu geben; hierbei versagte er etwas.
    Er dozierte über Gesteine, Blumen und Baumsorten; dann hielt er beim Mysterium der Natur im allgemeinen. Er begeisterte sich und blieb häufig im Wandelgang stehen, da er den geheimnisvollen Vorgang der chemikalischen Verbindungen und Auflösungen beschrieb. »Man sollte niemals sagen ›Entstehen‹, stets nur ›Sich-Zusammensetzen‹«, verlangte er beinahe ärgerlich. »Auch niemals ›Vergehen‹, immer nur ›Sich-Auflösen‹. Es gibt kein Vergehen: es verändern sich Zustände. – Dieses hat übrigens Anaxagoras schon gelehrt.«
    Auf Anaxagoras kam er gerne zurück. »Dieser ist mein Vorläufer«, pflegte er gewichtig zu sagen. »Er hat erkannt, daß das Weltall eine Einheit bilde und daß die Stoffe, aus denen es besteht, nicht voneinander getrennt sind oder wie mit dem Beil abgehauen, weder das Warme vom Kalten, noch das Kalte vom Warmen.«
    Das waren Stellen, bei denen er im Wandeln stehenblieb, was Alexander feinnervig vorauswußte. »Hören Sie, Prinz? Es gibt keine Möglichkeit, daß etwas für sich gesondert existiert, alles trägt einen Teil von allem in sich.« Und dann, mit einem Pathos, das er selten hatte: »Nur der Geist – der Geist, Alexander, ist etwas Einfaches, sein eigener Herr und mit keinem Dinge vermischt.« Der alte Liebhaber des Geistes, den Kopf seitlich geneigt, erklärte geschmäcklerisch, lüstern: »Denn er, das verstehen Sie wohl, er ist das feinste, reinste und härteste, das unwiderstehlichste, edelste, unersetzbarste von allem.« Er machte eine Pause, ehe er wieder zu promenieren und zu lehren begann.
    Er hechelte seine Vorgänger durch, deren erlauchte Reihe er mit Thaies von Milet beginnen und mit Plato schließen ließ. Für jeden hatte er, außer der gemessenen Anerkennung, eine trefflich formulierte Bosheit.
    Alexander interessierte sich am meisten für den Pythagoras, dessen abenteuerliche und bedeutende Lebensgeschichte er kannte: dieser unruhigste von allen Wahrheitssuchern war über Ägypten, Babylon und Persien bis nach Indien gekommen. Seine Unersättlichkeit erschütterte und faszinierte den Prinzen, er versuchte das auszudrücken.
    Aber hier hielt Aristoteles sich die Ohren zu. »Dieser Pythagoras!« jammerte er, dabei ragten seine Ellbogen spitz, gleich
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