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Alexander

Alexander

Titel: Alexander
Autoren: Klaus Mann
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Musen waren es, die seine blutigen Teilchen klagend sammelten und sie auf einem schönen Berg begruben. – Olympias sang mit ihrer grollenden Stimme die Lieder, welche von Orpheus waren, dann wurde ihrem Kinde feierlicher als beim Beten zumut. Sie summte und brummte, wiegte den Kopf mit dem widerspenstigen Haar; wenn Alexander schon weinte, summte und brummte sie immer noch. »Es ist die Harmonie, die dich weinen macht«, sagte sie träumerisch-lehrhaft. »So habe ich als Kind über die kreisenden Figuren der Sterne geweint –.«
    Der Geschichte vom Orpheus irgendwie verwandt, aber in seiner Art noch geheimnisvoller, war das ägyptische Märchen vom göttlichen König Osiris, den sein ebenso listiger wie böser Bruder Typhon tötete. Wie er es anstellte, war grausig und kompliziert. Denn er ließ eigens einen Kasten anfertigen, der genau die edlen Maße des Osiris hatte. Daraufhin tat er, als wolle er mit seinen Freunden, unter denen auch der arglose Bruder war, ein Spiel probieren, dessen Sinnlosigkeit hätte auffallen dürfen: jeder der Gesellen nämlich sollte sich in den Kasten legen, bis der sich fand, der am genauesten hineinpasse. Natürlich paßte keiner hinein, nur Osiris, da schlugen sie den Deckel über ihm zu. Sie warfen ihn in den Fluß, die Greulichen, damit seine Leiche in den Ozean fahre. Wo er festgeschwemmt war, am bewaldeten Ufer, fand ihn Isis, seine Geliebte, Schwester und Mutter, die ihn mit aller Innigkeit suchte. Sie pflegte, schmückte, liebkoste den armen Körper ihres süßen Gatten; aber kaum, daß sie ihn allein ließ, um ihr Söhnlein Horus zu sehen, bemächtigte sich der königlichen Leiche Typhon und zerstückelte sie in vierzehn Teile.
    Mit der Geschichte des königlichen Gottes Osiris war geheimnisvoll verquickt die des Tammuz, der in Babylon herrlich gewesen war; auch die des schöngewachsenen Adonis, welchen man in Kleinasien kannte. Alle diese vergossen ihr Blut, um alle diese klagte die Mutter – Geliebte, die Isis, Ischtar, Astarte oder Kybele hieß.
    »Man soll Gott schlachten«, schloß die Königin ihre Märchen mit wollüstiger Grausamkeit, wobei sie schreckhaft lachte und mit der Hand sinnlos zur Stirn fuhr.
    Alexander lauschte ihr mit angstvollem Interesse; er träumte schon von den zerstückelten Leibern. Mit tiefer List und Berechnung erweckte die Olympias sein Grauen, seine zähneklappernde Furcht; um so wunderbarer wirkte, was nachkommen sollte. Denn das Zerstückeltwerden des Gottes war die Voraussetzung für das Wunder seiner Auferstehung; der Jammer mußte groß gewesen sein, damit der Jubel unendlich sein durfte.
    Hatten die Weiber auch lange um ihren Tammuz-Adonis geweint und sich die Brüste geschlagen, er kam wieder, er offenbarte sich ihnen in der zweiten und eigentlichen Lebendigkeit. – Die Handgelenke ihres angstzitternden Sohnes packte Olympias, so starrten sie gemeinsam auf die blutigen Teile des zerfetzten Körpers, die noch etwas zu zucken schienen. Nun begannen sie auch zu weinen, sie, mit den sich wiegenden Klageweibern, sie hatten einen lautlosen, aber inständigen Jammergesang. Mit schon von Tränen erblindeten Augen starrten sie hin, wo in seinem gebenedeiten Blute der Tote lag, sangen, schluchzten, wiegten sich im Tanze. Erst da sie lange geweint und sich geschlagen hatten, wurden sie des Glückes teilhaftig; endlich kam der Verlorene wieder; in großer Glorie stand der Zerstückelte, sein war die Pracht, die Macht und alle Herrlichkeit.
    So freute sich alljährlich Demeter, wenn die verlorene Tochter blühend wiederkam. Auch ihre Geschichte erzählte Olympias dem verzauberten Sohn. »Ich bin ihre Priesterin«, raunte sie, die Hand verhüllend am Mund, »auf Samothrake habe ich ihr gedient und habe alles erfahren –«
    Sie enthüllte ihrem Kinde, nur ihm, was sie wußte: es war das Mysterium der blutigen Opferung und der Auferstehung im Lichte.
    Von welchem Tage an verschwand die graue, schaukelnde Landike in einer zärtlich schattenhaften Dämmerung? Wann wurde es plötzlich klar, daß der stöckelige Herr Leónidas nicht ernst zu nehmen war, daß man lachen durfte, wenn er hüstelte und sich spreizte? – Das Erwachen kam, ohne daß man es merkte, allmählich.
    Ein äußerer Einschnitt war die Übersiedelung ins Männerhaus. Das Kind wurde dem erregenden Einfluß der Olympias entzogen, nur noch bei festlichen Gelegenheiten durfte die Mutter es sehen und liebkosen. Allerdings hielt auch Philipp sich vorläufig zurück, er war in
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