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Alchemie der Unsterblichkeit

Alchemie der Unsterblichkeit

Titel: Alchemie der Unsterblichkeit
Autoren: K Pflieger
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ruhen, aber er würde genesen – ebenso Rabensang. Carissima hingegen war bereits am Morgen nach der Blutnacht – wie Kindels Todestag von nun an genannt wurde – wieder völlig wiederhergestellt. Arkens Blut, der sein Dasein nun in den Verliesen der Festung fristete, trug zu ihrer Genesung bei.
    »Willst du wirklich abreisen?«, fragte Carissima ungewohnt schüchtern.
    Icherios nickte.
    »Du könntest für immer hierbleiben und die Unsterblichkeit mit mir teilen.«
    Die Versuchung war groß, doch Icherios musste ablehnen. »Ich habe einige Dinge zu erledigen, und ich möchte meine Menschlichkeit genießen, solange ich kann.«
    Carissima seufzte traurig. »Ich werde warten. Eines Tages wirst du es dir vielleicht anders überlegen. Ich habe Zeit.« Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Carissima konnte nie lange betrübt sein. »Wir könnten viel Spaß miteinander haben.«
    Icherios grinste. »Da bin ich mir sicher.« Dann wurde er ernst. »Pass auf dich auf. Der Frieden ist nach wie vor nicht ganz wiederhergestellt, auch wenn dein Bruder es nicht wahrhaben möchte.« Er zog sie an sich und gab ihr einen sehnsuchtsvollen Kuss.
    »Wir können aufbrechen, Herr.« Renfin brüllte vom Dach der Kutsche herunter, wo er den letzten Koffer festzurrte.
    »Ich muss gehen.« Icherios deutete in Richtung des Gefährtes. »Ich werde dir schreiben.«
    Er wandte sich ab, doch Carissima packte ihn am Handgelenk und hielt ihn fest. Wie unbeabsichtigt strichen ihre Finger über seine Narben. »Du bist immer noch voller Zweifel.«
    Icherios schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass ich Vallentin nicht getötet habe.«
    »Du weichst mir aus.« Carissimas Augen funkelten im Halbdunkel und schienen in die Seele des jungen Gelehrten einzudringen.
    »Woher« – Icherios stockte – »woher kommen die Male?«
    »Vielleicht wollte jemand Rache an deinem Freund nehmen, und du standest im Weg.«
    »Vallentin hatte keine Feinde.«
    »Deine Naivität ist so menschlich.« Carissima hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Jeder Mensch birgt dunkle Geheimnisse. Aber das ist nicht deine wahre Sorge.«
    Icherios lehnte sich gegen die Hauswand und schloss die Augen. »Anselm von Freyberg, der Chronist der Kanzlei, die mich geschickt hat, befürchtet, dass ich versucht haben könnte, Selbstmord zu begehen.« Mit einer leichten Drehung seines Handgelenkes löste er sich aus Carissimas Griff und starrte auf die Narben. »Er behauptet, dass ein Selbstmordversuch mich anfällig machen würde. Ich wurde zwei Mal von Vampiren gebissen. Das ist ein deutlicher Hinweis.«
    »Wärst du empfänglich, hättest du dich dem Tod hingegeben, und dein Leben wäre mit dem ersten Biss verwirkt gewesen. Schau mich an.«
    Icherios hielt den Kopf trotzig gesenkt.
    »Schau mich an!« Carissima fauchte wie eine Katze. Als er sich weiterhin weigerte, packte sie ihn grob am Kinn und zwang ihn, ihr in die Augen zu blicken. »Du bist kein Selbstmörder. Ich spüre deinen Lebenswillen in jedem deiner Atemzüge. Vertrau endlich deiner inneren Stimme.«
    Ein Käuzchen verabschiedete die Nacht mit einem traurigen Ruf. Icherios holte tief Luft und spürte, wie die morgendliche Kälte in seine Lungen drang. Carissima hatte wieder einmal die Wahrheit erkannt. Trotz all seiner Schwächen gehörte Selbstaufgabe nicht zu seinen Eigenschaften. Dafür war er zu stur. Was auch immer in der Nacht von Vallentins Tod geschehen war, er trug keine Schuld daran, und er hatte nicht versucht, sich etwas anzutun. »Danke.« Er nahm Carissima in die Arme und atmete ihren Duft von Mondscheinblumen und Violen ein.
    »Herr, die Zeit drängt!« Renfins Stimme hallte durch die Straßen. In den benachbarten Häusern gingen die Lichter an.
    Icherios seufzte und wandte sich ab. Die wenigen Schritte bis zur Kutsche fielen ihm schwer. Ein Leben an der Seite der schönen Vampirfrau verlockte ihn, aber er war nicht bereit dafür – noch nicht. Seine Finger strichen über die langsam verheilenden Bisswunden an seinem Hals. In seiner Brusttasche trug er ein Pergament, das genaue Anweisungen gab, wie mit seinem Körper nach dem Tod zu verfahren sei. Er hoffte, dass man seine Bitte erfüllen und seinen Kopf abtrennen würde. Er wollte nicht als geistloser, mordender Strigoi durch die Welt ziehen.
    An der Kutsche zögerte er, bevor er einstieg. Carissima winkte ihm zu, dann sprang sie die Hauswand hoch und krabbelte zum First hinauf. Icherios konnte ihre Silhouette gegen das Licht der aufgehenden Sonne erkennen.
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